Cleebourg – Petit-Réderching

Am nächsten Morgen regnet es. Wir lachen, weil wir gestern noch gesagt haben: „Es könnte viel schlimmer sein. Stell Dir vor jetzt würde es auch noch regnen.“ Wir frühstücken im Düdo, klappt ganz gut. Danach ruft Volker den ACE an, was unser ADAC ist, und wundervoll, es ist nicht schlimm, dass wir die Unterlagen noch nicht haben. Vorgestern haben wir erst den Vertrag abgeschlossen. Das hat sich ja schnell gelohnt. In zwei Stunden soll jemand da sein. Ich ziehe mit den Kindern los, sage zu Volker: „Du hast jetzt eine Stunde Zeit zum Arbeiten.“

Toni will sich keine Regensachen anziehen, es tröpfelt auch nur noch. Ist mir recht. Wir laufen den Abhang hinunter zu den Pferden (Amadeus und Sabrina). Toni will den Pferden Gras geben, lässt den Büschel aber immer zu früh fallen. Peppi hat Angst vor den Pferden und will auf den Arm. Wir gehen weiter, kommen an Brombeeren vorbei. Peppi hat plötzlich wieder Angst, ich kapiere nicht gleich, was los ist: Da sind schon wieder Pferde, diesmal sogar über uns, denn die Brombeeren wachsen auf einem kleinen Hang. Kein Mensch da, nur Felder, Wiesen, Blumen, im Hintergrund der Schwarzwald. Im diesigen Wetter sieht man die Bergkette mit lauter blau-grauen Konturen, die gestern bei Sonnenschein nicht zu sehen waren. Da war es eher ein schwarz-grüner Block.

An der nächsten Abzweigung lasse ich Toni entscheiden welchen Weg wir gehen. Sie entscheidet sich für einen anderen als den ich gegangen wäre. Egal. Wir laufen weiter, kommen zu einem Maisfeld. Ich will mit den Kindern Verstecken spielen, mein alter Wunschtraum „Im Maisfeld verstecken spielen“, allerdings mit dem Typ, nicht mit den Kindern, Kusturica-Kitsch. „Wir sind mit Filmen großgeworden, ich glaube das hat uns verdorben“ (Funny van Dannen).

Der Mais steht in geraden Reihen. Zwischen den Reihen kann man gut rumlaufen ohne was kaputt zu machen. Ich schärfe Toni ein, nicht zwischen den Reihen durch zu steigen, zeige ihr, dass sie schon einen Mais umgeknickt hat (bin mir aber gar nicht sicher, dass sie es wirklich war) erzähle vom Bauern, der vielleicht kommt. Dann will ich aber selber Maiskolben pflücken, sehr unlogisch. Toni ist das nicht recht (wenn der Bauer kommt). Will die Maiskolben nicht in ihrem Eimer transportieren, sondern dass ich sie in den Jackentaschen verstecke. Ist auch bestimmt besser.

Wir kehren um. Pflücken noch einen Strauß. Lila Blumen und weiße Schafgarbe und kleinen gelben Löwenzahn der kein Löwenzahn ist. Ich bedaure, dass ich mich mit Blumen so schlecht auskenne. Und dann der Esel. Steht nicht auf einer Wiese, sondern im Vorgarten eines Hauses. Toni ist fasziniert. Er wälzt sich. Rupft trockenes, mega-kurzes Gras. Peppi hat wieder Angst. Es dauert etwas bis es mir einfällt: Dieser Esel ist bestimmt hungriger als die Pferde auf der Weide. Toni füttert ihn mit Gras bis selbst der hungrige Esel nicht mehr mag. Dann rennt plötzlich eine Maus auf der Straße. So viele Tiere seit wir unterwegs sind! Und auf der anderen Straßenseite sind plötzlich Amadeus und Sabrina wieder gekommen und gucken was wir machen.

Oben am Abgrund knallrot der Düdo gegen den dunkelgrünen Wald. Wir kommen ganz beseelt von unserem Ausflug zurück, hat eineinhalb Stunden gedauert. Genauso leicht hab ich mir das ausgemalt. Dann kommt – fast pünktlich – der Pannenmensch. Ein sportlicher, tätowierter Mensch mit höchstwahrscheinlich Karlsruher Dialekt. Ist aus Deutschland rübergedüst, wir sind ja noch nicht weit gekommen. Er geht sofort ans Werk, superschnell. Bremsen-Reiniger auf die ja seit Jahren nicht bewegten Schrauben. Trotzdem kriegt er sie selbst mit seinem Pressluft-Akku-Schrauber nicht auf, sondern nimmt einen herkömmlichen Ringschlüssel und steckt ein Rohr drauf. Damit geht es. Denke an meinen Vater, der irgendwen zitiert, sinngemäß: Gib mir einen lang genugen Hebel und ich wälze die Welt vom Sockel. Ich schaue genau zu, um mir zu merken wie er das macht, also der Pannenmensch, so einen Reifen wechseln. Es ist kein Hexenwerk, wir hätten es auch geschafft, aber wir hätten bestimmt einen Tag gebraucht.

Volker und die Kinder sitzen auf dem Boden, schauen auch zu. Reserverad, danke dass es Dich gibt. Danke dass wir Dich dabei haben. Danke dass die Düdos Dich uns unters Auto montiert haben. Ich gebe dem Mensch vor lauter Dankbarkeit zehn Euro Trinkgeld, ich sage „für Ihre Mühe“, er sagt „für den Sohnemann“. Das find ich nu ja nicht so toll, was soll das Kind mit Geld, kauft sich nur Konsum-Schrott und wird nicht glücklich davon. Sind vielleicht doch nicht so gut investierte zehn Euro, aber egal, weg ist weg.

Dann suche ich die Katze. Rufe, locke, wo ist das Tier, war doch immer in der Nähe. Klappere mit dem Napf, wir haben sie extra heute Morgen nicht gefüttert. Sie liegt auf dem Bett und rührt sich nicht. Depressiv vermutet Volker, völlig resigniert. Ich krieche zu ihr hin, kraule sie, und entdecke eine riesige Fleischwunde an ihrer Flanke. Es blutet kaum, aber es klafft. Das Fell drum herum etwas verklebt. Alle paar Stunden passiert ein Unglück, seit wir losgefahren sind. Wir vermuten dass es die zwei Doggen waren, die sie gestern gejagt haben. Riesige schwarze Viecher. Heute ist Sonntag. „Morgen müssen wir zum Tierarzt“, sage ich. Volker gibt zu bedenken, dass die Katze offiziell gar nicht in diesem Land sein dürfte, denn wir haben sie zwar impfen lassen, aber sage und schreibe erst vorgestern. Und eigentlich müsste sie schon drei Wochen geimpft sein bevor sie nach Frankreich rein darf, gegen Tollwut. Immerhin hat sie einen Pass. Einen Europäischen Heimtierpass.

Wir kraulen das Tier, geben ihm ein paar Schlucke zu trinken, dann geht es los. Wir fahren durch schönstes, pittoreskes Elsass. Ich kann nicht nachvollziehen, wie das Navi uns führt, das macht mich ganz kirre. Mein alltäglicher Kampf gegen den Kontrollverlust. Wir haben uns für die Bison-Farm entschieden. Ist wieder nicht weit, wir brauchen trotzdem irgendwie lange.

Wir sehen die Bison-Safari, von der im Führer die Rede war. Lustig. Lauter Bisons rund um so ein Wägelchen in Tarnfarben, in der Mitte der Chef mit Rancher-Hut. Ich koche Reis mit einer Dose Hasenbraten. Es dauert ewig, weil es so windig ist. Es hat vorher auch richtig geschüttet, aber immer nur kurz. Ich wickle den Plastikteppich um den Gas-Kocher, als Windschutz. An einer Stelle schmort er etwas an. Wenn das Dieter sähe.

Beim Abendessen knallt plötzlich das Gattertor neben dem wir stehen gegen den Düdo. Schock. Das nächste Unglück? Wir steigen aus. Es hat nur die Stoßstange getroffen, Mensch, so ein Glück. War wohl nicht richtig zu gewesen. Wir hängen es jetzt richtig ein. Zum Glück waren keine Bisons auf der Weide.