Algeciras – Asilah

Wir verschlafen, aber zum Glück merkt Volker es rechtzeitig. Fahren mit im Bett schlafenden Kindern los, sind kurz nach sieben bei der Fähre. Ein hysterisch winkender Spanier hält uns auf, schnell und hektisch: Wollt ihr sofort auf die Fähre? Dann müsst ihr noch 20 Euro mehr zahlen. Wir haben doch schon Tickets! Er faselt, dass die Fähre ausfällt, wegen einer Baustelle, wir müssten eine andere nehmen, und die sei 20 Euro teurer. Ich bin noch im Schlafanzug. Wir fahren weiter, stellen uns in die Schlange von unserem Schalter, er kommt wieder ans Fenster, aufgeregt, STRESS! Ich ziehe mich hinter dem Vorhang an, zeige ihm unser Ticket, unvorsichtig, unvorsichtig, er nimmt es mir aus der Hand, blättert unkoordiniert, schaut sich die Rückfahrt-Tickets an, erkennt offenbar nicht, dass es die Rückfahrtickets sind, daran erkenne ich jetzt endlich definitiv, dass dies hier kein Hafenmitarbeiter ist. Zum Glück gibt er mir das Ticket zurück.

Ich renne zu Fuß vor zum Schalter, zeige meine Tickets, alles ist in Ordnung, die Fähre fährt, wir müssen nicht mehr zahlen, seltsamerweise reagieren die Fähr-Firma-Mitarbeiter nicht besonders alarmiert auf meine Nachricht, dass da ein Mann sei, der molesta los passajeros y dice que tenemos que pagar mas. Das Scannen der Pässe und Tickets erfordert die volle Aufmerksamkeit von beiden Hafenmenschen. Als ich wieder am Düdo bin, sind die Kinder wach, alle sind freudig erregt, es geht auf die Fähre, mit dem Düdo!

Toni interessiert sich für den Fernsehbildschirm, auf dem eine spanische Soap ohne Ton läuft. Mann und Frau am Strand, ein romantisches Feuer. Toni, beflissen: „Oh, das Mittelmeer, oder ist das der Atlantik?“ Peppi würgt so komisch, will an den Zitzi. Ich gebe ihr zu trinken, sie kotzt die Milch sofort aus, die arme Maus. Nochmal der Fels von Gibraltar, dann Afrika.

Wir halten gegenüber einer Tankstelle in Ceuta, müssen ja noch frühstücken, und Peppi umziehen. Das hier ist noch Spanien, aber Volker macht sich schon Sorgen: Ein paar junge dunkelhaarige Männer gucken den Düdo so komisch an. Wir schließen alle Türen ab. Wir gurken hin und her, erst auf der Suche nach einem Briefkasten – die Hello-Kitty-Postkarte an Omi und Ota! – dann nach der Frontera. Die ist erst ausgeschildert, dann plötzlich nicht mehr, und wir glauben unserem Navi erst nicht, nach der schlechten Erfahrung von gestern abend. Nach einer ergebnislosen Runde durch die Stadt glauben wir dem Navi doch.

Als wir auf die Grenze zufahren, ein hysterisch winkender Marokkaner, will uns auf eine andere Spur lotsen. Ha, nochmal fallen wir nicht auf so einen Typen rein! Wir bleiben stoisch in unserer Schlange, und merken am Grenzhäuschen, dass wir besser hätten hören sollen. Hier werden nur PKWs abgefertigt, Wohnmobile sind nebenan. Der Grenzer brüllt uns an: „Warum seid Ihr hier her gekommen?“ Wir geben unsere Pässe irgendwem. Volker: „Wer hat unsere Pässe???“ Ich steige aus, folge einem Helfer in Zivil, er füllt für uns den grünen Zettel aus, von dem im Reiseführer die Rede war. Und vor „Helfern“ gewarnt wurde. „Sie brauchen keine Hilfe!“ Äh, doch. Alles geht glatt, die Katze liegt brav auf dem unteren Bett, ohne Antikörper-Zertifikat. Wer weiß, was der Zoll gesagt hätte, wenn sie von oben durch das Netz geschaut hätte, wie so oft.

Das Navi führt uns nicht zu den GPS-Koordinaten vom Campingplatz, sondern nach Asilah-Centre. Da sind wir dann plötzlich, mitten auf einer marokkanischen Marktstraße, inmitten einer Menschenmenge, Kutschen, Eselskarren, und andere zweirädrige Karren, vor die sich ausgemergelte Männer spannen. Kinder winken, Männer kommen an unser Fenster: „Es gibt keinen Campingplatz in Asilah.“ Nur einen bewachten Parkplatz. Wir wollen auf keinen bewachten Parkplatz. Zuallererst wollen wir wieder raus aus der Menschenmenge. Die Sonne knallt auf die Windschutzscheibe. Wenden. Volker schwitzt. Ich programmiere das Navi neu.

Wir sehen keinen Campingplatz, wo das Navi einen behauptet. Biegen am nächsten Kreisverkehr in die Uferpromenade. Da stehen Wohnmobile auf einem Parkplatz. Ein winkender Parkplatzwächter in neongelber Warnweste pustet in seine Trillerpfeife, damit wir stehenbleiben. Wir bleiben stehen. Wir fragen nach dem Campingplatz, zeigen ihm den Namen im Reiseführer. „Es gibt keinen Campingplatz in Asilah“. Wir sollen auf den Parkplatz, es gebe Wasser, Strom, koste 40 Dirham, ruhig und bewacht. Wir fahren auf den Parkplatz. Bewacht, naja, die Mauer, die den Parkplatz umgibt ist kaum hüfthoch. Der Parkplatzwächter fragt, ob wir Bier dabei hätten. Er hätte gern eins. Zufälligerweise habe ich gestern abend im Mercadona noch ein Sixpack in den Wagen gelegt. Er sagt: „Wir sind zwei Wächter.“ Volker bringt ihm zwei Bier in einem Jutebeutel.

Wir wollen erst zum Strand, weitläufig und vermüllt, dann in die Stadt. Peppi tanzt im knöcheltiefen Wasser, das den flachen Strand meterweit gleichmäßig überflutet. Eine Welle, die plötzlich wadentief Wasser anschiebt, bringt Peppi so aus der Fassung, dass sie der Länge nach hinfällt, sogar die Haare sind nass.

Auf dem Rückweg aus der Stadt kommen wir an dem Campingplatz vorbei, den wir vorhin gesucht haben, er liegt keine hundert Meter neben unserem Parkplatz. Direkt daneben kurioserweise gleich ein zweiter Campingplatz. Auch er nahezu unsichtbar. Ein Schriftzug „Camping“ an der Mauer würde beiden Campings bestimmt mehr Gäste bescheren. "Es gibt keinen Campingplatz in Asilah" wird unser geflügeltes Wort, etwa im Sinne von: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."

Die ersten Tage in Marokko sind erzähltechnisch ein heikles Pflaster. Uns passiert leider viel klischeehafter Mist. Ich weiß nicht, ob ich diesen Mist erzählen kann, ohne meinerseits Klischees zu perpetuieren. Außerdem schäme ich mich dafür, dass wir a) so naiv sind, dass uns klischeehafter Mist passieren kann, und b) dass wir nicht in der Lage zu sein scheinen, uns auf die Mentalität der Leute einzustellen. Diese kumpelige Gutgelauntheit ist nicht unsere. Es ist, als würde das Land uns täglich eine Lektion erteilen: Ihr seid zu blöd, um hier klar zu kommen.

In den ersten Tagen beschwöre ich Volker noch: Wir müssen uns erst gewöhnen, wir müssen lernen, wie das Land funktioniert, wir dürfen nicht verallgemeinern, wir müssen offen und neugierig bleiben. Nach einer Woche fluche ich genauso: Lass uns abhauen aus diesem Kackland. Stattdessen müssen wir immer tiefer rein, denn wir treffen Hanna und Annette in Essaouira. Und jeden Kilometer den wir nach Süden fahren, müssen wir später auch wieder zurück.

Marokko verschwimmt viel mehr zu einem Eindrucksbrei als Frankreich oder Spanien. Die ersten Tage in Frankreich stehen gestochen scharf nebeneinander. Hier schon nach einer Woche – was war gestern?

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