Argelès-sur-Mer, Camping Le Roussillonnais

Von den Aufenthalten auf dem Campingplatz gibt es immer weniger zu berichten als sonst, bzw. es drängt mich weniger. Die Erlebnisdichte nimmt rapide ab, dabei versprechen die Campingplätze „Erlebnisurlaub“. Erlebnisse, die sich jemand anders vorher für einen ausgedacht hat, sind aber keine Erlebnisse mehr. Selbst die Tiere im Campingplatz-Zoo in Portiragnes waren mir langweilig. Sie wurden dafür gehalten, dass man sie anguckt. Jeder Esel am Straßenrand ist spannender.

Elf Nächte verbringen wir auf dem Camping Roussillonais. Volkers Hoch-Arbeitsphase. Das Campingplatz-Universum.

Die Besitzerin des Strandbedarf-Ladens auf der Vergnügungsmeile vom Campingplatz, 50 Prozent auf alles, wegen Nachsaison. Ich kaufe viel. Strandmuschel, Schwimmbrille für Toni, Taucherbrille mit Schnorchel für uns, Schwimmflügel für Peppi. Sie ist nett, Typ hedonistische Kettenraucherin, irgendwie bestimmt „herzensgut“, Unterschicht aber nicht asi. Sie schickt mich zwei Läden weiter, zum Bäcker. Ihrem Mann. Sie selbst hat keine Ahnung wie diese Strandmuscheln zusammengefaltet werden: „C’est compliqué!“

Der Bäcker, der versucht, mit mir die Strandmuschel zusammenzulegen. Youtube-Videos mit Musik, langes Vorgeplänkel, bevor der Youtuber endlich loslegt, der Bäcker flucht: Fang an, alter Depp! Kunden kommen und gehen, jeder redet mit. Ein Kerngrüppchen Interessierter bleibt. Ich schaffe es schließlich selbst, kann nicht sagen, wie. Aber ab da klappt es immer, spätestens beim dritten Versuch. Am nächsten Tag ich zum Bäcker: „Ich habe es nochmal geschafft, das Ding zusammenzufalten.“ Er lächelt, aufgekratzt wie immer, dann fragt er: „Remplir quoi?“ Heißt zusammenfalten nicht remplir? Erkennt er mich nicht wieder? Steht er unter Drogen? Ich, total verunsichert, schnappe mein Brot und fliehe aus der Bäckerei.

Remplir heißt auffüllen, nicht zusammenfalten. Das Wort, das ich sagen wollte, heißt replier.

Viele Rollstuhlfahrer, der Campingplatz ist behindertengerecht. Die paar Dauercamper mit Blumenbeet und Teich. Der alte dicke Typ auf dem Fahrrad, der mir zuruft: „Elle a perdu sa culotte?“ Ich glotze ihn an, die nackte Toni an der Hand, er denkt wahrscheinlich, dass ich ihn nicht verstehe, winkt verächtlich ab.

Die Familienväter (Kinder aber längst aus dem Haus), die ihre Kacke und die ihrer Frauen in einem Rollkoffer hinter sich herziehen, zur Entleerungsstelle für Chemieklos. Die normalen Klos sind direkt daneben, ich hoffe, dass die Spritzer, die unter der Trennwand herüberschwappen, nur Wasser sind. Ganz astreines Wasser werden sie nicht sein.

Mein Campingplatz-Outfit: Jogginghose, Hoodie, Bomberjacke. Irgendwie ist es schon so als würde sich das ganze Draußen, der Campingplatz eben, ins eigene Daheim verwandeln, dementsprechend leger der Aufzug. Man teilt es mit lauter Rentnern, die es einem leicht machen, sie zu übersehen.

Die Jugendgruppe am Wochenende mit Zelten, in Sichtweite, ich erst: Oh no. Aber außer am ersten Abend hört man nichts von ihnen, nichts. Kurios. Sind sie so erschöpft von ihrem Tagesprogramm? Abreise am Sonntagmorgen, ein Betreuer staucht zwei Jungs zusammen. Vielleicht deshalb. Dann wieder: Nur Rentner in ihren Joghurtbechern. Alle haben die scheußlichen dicken flauschigen synthetischen Fliegenvorhänge, die ich bei Narbonne Accessoires gesehen habe.

Wir feiern Tonis Geburtstag auf dem Campingplatz. Volkers auch. Wir kontaktieren Workaway-Hosts. Keiner will uns. Die Hälfte antwortet nicht mal. Zweifel, ob unser Konzept aufgeht. Was, wenn nicht? Das Leben auf dem Campingplatz ist anstrengend, aber im Gegensatz zum Leben auf der Reise (unsere zwei Wochen Unterwegssein zum Mittelmmer liegen kaum hinter uns, werden schon romantisiert) nicht erfüllend. Das Anstrengende ist, dass wir die Kinder immer um uns haben. Und immer so viel zu erledigen ist, daheim wären es lapidare Sachen, hier immer ein Riesenaufwand. Onlinerecherchen am Laptop, Wifi Roussillonais ist langsam oder nicht da, also eigener Hotspot vom Iphone, also neues Volumen kaufen, kaum Zeit.

Peppis Geburtstagsgeschenk an Toni, etwa zwei Tage zu früh: Sie sagt plötzlich Toni. Vorgestern hat sie zum ersten Mal „ich“ gesagt. Ich frage: Wer will – was war es, eine Bretzel, ein Stück Brot, eine Weintraube? Toni ruft: „Ich!“ Peppi ruft: „Ich!“ Außerdem ihr erster Zwei-Wort-Satz: „Schuhe an.“ Und ihr zweiter Zwei-Wort-Satz: „Toni da.“

Es wird kälter, anfangs sitzen die Leute abends vor ihren Raumschiffen, dann nur noch drin. Wir auch. Es drängt uns zum Aufbruch, wir wollen los, aber wohin? Die Workaway-Frau, die uns schon grundsätzlich zugesagt hatte, meldet sich nicht mehr.

Neue Stufe: Wir müssen jetzt wirklich ohne Ziel losfahren. Volker will eine grobe Idee. Sucht abends ein fiktives Ziel heraus, das Ebro-Delta. Durchs Hinterland dahin. Der Tag vor Volkers Geburtstag, wir können los. Ich packe zusammen, wasche noch Wäsche, außerdem gibt es noch die großen Aufgaben: Fettspray auf die restlichen Blattfedern, Reifenspray auf die Reifen, die total verdreckten Fenster putzen. Peppi macht Mittagsschlaf im Düdo, mir war klar, dass wir nicht vorher alles schaffen würden. Dann will Toni nochmal ins Meer, Volker will mit ihr duschen, ich sage, springt doch vorher nochmal kurz in die Wellen.

Peppi schläft, ich trinke ein kleines Kronenburg nach dem anderen. Sie sind noch übrig, Volker trinkt nicht mehr, und die Kühlbox hängt noch am Camping-Strom. Man muss das Bier trinken solange es kalt ist. Peppi wacht auf, ich bin gut gelaunt beduselt. Eineinhalb Stunden später kommen die beiden anderen zurück, voller Meer, sie haben noch nicht geduscht. Ich: Das gibt’s doch nicht. Volker will erst morgen fahren. Es ist fünf. Bis wir aufbrechen sicher sechs. Das Reifenspray ist noch nicht drauf. Ich: Okay, aber ich pack nichts mehr aus. Es wird nicht mehr gekocht, der Gashahn ist schon zu, der Teppich wird nicht mehr ausgebreitet. Und morgen früh fahren wir vor dem Frühstück los.

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