Pass Tizi n'Test – Ouirgane

Ich will die „lichtdurchflutete Feierlichkeit“ sehen, von der unser WDR-Redakteur spricht, also der Autor von unserem Reiseführer. Zwei marokkanische Jungs lassen uns rein, Eintritt 10 Dirham für uns alle, und dann stehen wir drin, in der Moschee von Tin Mal. Sie ist noch lichtdurchfluteter und feierlicher als ich sie mir vorgestellt hatte, und vor allem sind wir ganz allein. Die Kinder sind auch begeistert und rennen zwischen den Pfeilern herum. Was Architektur kann.

Nach diesem geheimtipplerischen touristischen Höhepunkt – es ist tatsächlich das erste kulturelle Sightseeing unserer Reise – fühlen wir uns wie im Urlaub. Wir haben es nicht eilig, Marrakesch ist in kalkulierbarer Nähe und der Flug erst in drei Tagen. Wir schlendern zu dem Café/Teppichladen, dessen Besitzer uns schon beim Vorbeifahren vorhin aufgeregt zugewunken hat, wahrscheinlich kommt hier pro Tag höchstens ein potentieller Gast vorbei.

Wir bestellen Fanta und Salat und gucken auf die Teppiche, die – wir haben mittlerweile den Kennerblick – von mittlerer bis hoher Qualität sind, mir haben es besonders zwei kleine, versponnene angetan, die an der Wand hängen. Picasso Berbère, sagen immer alle Teppichverkäufer, aber das trifft es eigentlich nicht, das Tolle ist der Stilmix innerhalb eines Werks, also die völlige Kontingenz von Mustern und Farben, die dennoch eine Einheit ergibt. Der Cafébesitzer und Teppichhändler heißt Abdou, und er nennt uns eine andere Metapher: „Landkarte“ würden diese Teppiche auf  Berbère genannt, und das trifft es besser, sie sehen wirklich aus wie Schatzkarten, die ein Künstler auf LSD geschaffen hat.

Abdou versteht sich nicht als Teppichhändler, sondern als Förderer des traditionellen marokkanischen Kunsthandwerks, er ist sehr nett und wirkt gebildet, er malt mit Toni ins Gästebuch, während ich das Geld hole. Ich möchte ihm gern glauben, denn ich möchte ihm Teppiche abkaufen. Die Preise sind ein Witz im Vergleich zu denen, die wir in der Kooperative von Taznakht gezahlt haben. Er sagt, es seien marokkanische Preise, und nicht die Touristenpreise, und das kommt mir auch so vor. Ich handele nicht.

Allerdings merke ich im Düdo, dass wir gar nicht genug Geld dabei haben, sondern etwa 150 Dirham zu wenig. Geldautomaten gibt es hier im Gebirge natürlich nicht. Ich schleppe die gesamte verbliebene Tauschware zu Abdou, schildere ihm das Problem, biete an, dann eben einen Teppich weniger zu nehmen, aber er will, dass ich alle vier nehme, willigt ein, sagt, dass er jetzt kein Geschäft macht, sondern das der Einkaufspreis sei – ich hoffe das, kann mir aber kaum vorstellen, dass er für sich selbst nur eine etwa zehnprozentige Gewinnspanne vorsieht – however, wir bringen die Transaktion über die Bühne.

Berauscht von den neuen wunderschönen Teppichen – für Freunde und für die Zukunft – fahren wir davon, durchs Mandelblütenland. Das Wasser des Flusses, dessen Lauf wir folgen, ist fast weiß.

Mehrmaliges Wenden in Ouirgane, wir denken erst, wir hätten den Abzweig zum empfohlenen Stellplatz übersehen, dabei waren wir noch gar nicht so weit. Wir entscheiden uns für ein riesiges Schotterfeld mit spektakulärem Ausblick auf ausgewaschene, rote Felswände, die der Atlas uns hier präsentiert.

Ich koche drin, weil es draußen mal wieder stürmt. Es dauert ewig, erst die Nudeln, dann das Gemüse. Die Kinder hopsen auf dem Bett, Volker ist dabei, wir ermahnen ständig, dass die Hopserei nicht geht, weil dann der Düdo und mit dem Düdo auch der Campingkocher wackelt, samt kochendem Wasser, der riesige Topf balanciert auf drei kurzen, fragilen Metallarmen, alles findet auf dem Düdoboden statt – es ist ein brandgefährlicher Wahnsinn, den wir immer dann veranstalten müssen, wenn wir nicht draußen kochen können. Wir schärfen den Kindern ein, dass sie auf dem Bett bleiben müssen, Volker versucht vorzulesen, aber die Stimmung ist aufgekratzt. Ich nehme die Nudeln vom Kocher, stelle den Topf mit dem Gemüse auf die Flamme, schütte draußen das kochende Wasser auf den Schotter.

In dem Moment, in dem ich den Nudeltopf in den Düdo stelle, gibt es einen Schlag und Peppi liegt auf dem Boden, ihr Kopf keine fünf Zentimeter neben der Gasflamme. Beim Sprung zu meinem Kind stoße ich den Nudeltopf um. Ich reiße Peppi am Arm nach oben, sie brüllt, sie scheint heil zu sein. Ich drehe das Gas aus, inspiziere Peppi nochmal, genauer, eine riesige Beule, aber sie atmet, sie scheint sich bewegen zu können, sie ist nicht verbrannt. Sie ist beim Hopsen vom Bett gehopst, ich habe den Fall ja nicht gesehen, nur gehört und dann gesehen wie sie da lag. Volker sagt, dass sie zuerst auf den Rücken gefallen sei, nicht ungebremst auf die Stirn, was ich erst dachte, aufgrund der Position, in der ich sie aufgefischt habe. Toni kichert gleich wieder rum, wir reden auf sie ein, dass gerade fast etwas sehr, sehr Schlimmes passiert wäre, und zwar WEIL IHR ALLE BEIDE NIE AUF UNS HÖRT!!! Toni wartet bis wir fertig sind und kichert alsdann weiter.

Wir wissen beide, dass weder Toni noch Peppi schuld sind, sondern dass wir als Erwachsene unverantwortlichen Mist machen, immer wieder seit Wochen. Wenn wir noch einen Grund für den Umbau gebraucht haben, hier ist er. Wir brauchen eine sichere Kochgelegenheit, drin. Wir haben wahnsinniges Glück gehabt.

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