Bhibah – Essaouira

Wir erreichen Essaouira planmäßig, einen Tag bevor morgen Hanna und Annette hier aufschlagen. Wir entscheiden uns für den Parkplatz etwas außerhalb, am Ende der Strandpromenade, auch wenn der Weg in die Stadt weiter ist. Der innerstädtische Parkplatz am Hafen ist zu voll mit PKWs. Hier dümpelt hinter einer Düne wieder friedlich Rentner-Mobil an Rentner-Mobil, und dazwischen dümpelt der Heinz. Volker treibt sein Bedürfnis nach Höflichkeit zum Hingehen und hallo sagen, ich winke nur von Ferne, meinem Höflichkeitsbedürfnis ist in dem Falle damit Genüge getan. Bestimmt ist auch die Österreicherin nicht weit. Neben uns immerhin ein runtergerockter blauer Düdo mit einem zauseligen Franzosen drin, der morgen früh neben seinem Bus Camus lesen wird.

Essaouira ist einfacher als alle anderen Orte in Marokko, in denen wir bisher waren. Wahnsinnig viele Franzosen allerorten. Eher Expats als Touristen. Bei Anbruch der Dunkelheit kommen wir an der Medina an. Möwen. Es gibt Schawarma- und Falafel-Läden, an einem Stand kaufe ich wieder die Blätterteig-Pfannkuchen, hier schmecken sie noch viel besser, weil frisch gemacht und nicht aufgewärmt. Eine sehr günstige und einfache Art, Toni und Peppi satt zu kriegen.

Vor einem CD-Laden bleibt Volker stehen, ihm gefällt die Musik, die gerade läuft. Ich sage: „Geh doch rein und kauf sie, das sind alles selbstgebrannte CDs, kostet bestimmt nicht mehr als 20 Dirham oder so.“ Volker geht mit Peppi rein, ich warte mit Toni in der Gasse. Der Mann vom Klamottenladen gegenüber, schnauzbärtig und untersetzt, schäkert mit Toni, spricht sie auf deutsch an, hält ein buntes Leinenhemdchen mit Kapuze hoch, winkt sie zu sich rein. Toni folgt bereitwillig der Aufforderung, ich lasse sie gewähren. Der Mann hilft ihr, den Pollunder auszuziehen, damit sie in das Hemdchen schlüpfen kann.

Natürlich gefällt es ihr, natürlich will sie es haben, und etwas zu spät verstehe ich, dass es sehr kompliziert werden könnte, diesen Laden wieder zu verlassen. Es hilft, dass der Verkäufer deutsch kann, und schon einmal in Berlin war. So kann ich in epischer Breite ausführen, dass ich natürlich die Qualität des Hemdchens zu schätzen weiß, dass es seinen Preis bestimmt wert ist, dass ich ihn nicht beleidigen möchte indem ich den Preis sage, den ich ausgeben könnte, denn der sei selbstverständlich viel zu niedrig. Denn Kinderkleider würde ich einfach niemals neu kaufen, sondern auf dem Flohmarkt, Berlin eben. Toni, dieses kleine Naturtalent, unterstützt mich, indem sie keinen Tobsuchtsanfall kriegt, sondern vernünftig sagt: „Dann nicht, Mama“, und das Hemdchen wieder auszieht. Für weniger als ein Drittel des Anfangspreises wechselt es letztendlich seinen Besitzer, der Verkäufer sagt, er wolle Toni glücklich sehen, darum. Und Toni freut sich.

Volker hat in der Zeit eine selbstgebrannte CD erstanden, für 80 Dirham. Ich frage: „Wieviel hat er denn verlangt?“ „80 Dirham“, sagt Volker. „Und die hast du ihm einfach gegeben?“ Ich bereue die Frage sofort, denn Volker fängt an, sich über sich selbst zu ärgern; über sich selbst und über dieses Land, in dem einkaufen so kompliziert ist, weil man ständig handeln muss und an jeder Straßenecke ein Schlawiner auf einen lauert. Ich kann ihn nicht mehr davon überzeugen, dass 80 Dirham der richtige Preis ist, wenn ihm die CD so viel wert ist, denn anders lassen sich Preise nicht bemessen. Volker fühlt sich nach jeder Transaktion hier miserabel. Wenn er den Preis herunterhandelt, hat er ein schlechtes Gewissen, weil er dem armen Marokkaner zu wenig gegeben hat. Wenn er ohne handeln den geforderten Preis zahlt, ist er hinterher wütend, weil er sich vom hinterhältigen Marokkaner über den Tisch gezogen fühlt.

Und jetzt kein weiteres Wort übers Feilschen. Es ist irgendwie ein Talent, für das ich mich schäme, jedenfalls rückblickend.

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