Cerbère – Autovia kurz hinter Barcelona

Wir fahren wieder im Morgengrauen los, prellen wieder die Zeche. Frühstück in Spanien, an der Bucht, die wir vom letzten Mal kennen. Ich ziehe mit den Kindern los zum Kieselstrand, Volker muss immer noch oft arbeiten. Am Rand kommt ein Bächlein aus den Bergen, es staut sich zu einer flachen Lagune. Peppi, unten ohne, watet mit mir im Wasser. Wir finden viele kleine, tote Krebse. Wahrscheinlich war die Stelle vor kurzem, als es so stürmte, noch salzwasserüberflutet, bis das Meer sich zurückzog, und der Süßwassergehalt in der Lagune, gespeist vom Bächlein, so lange stieg, bis die kleinen Salzwasser-Krebse nicht mehr konnten.

Ich setze die Kleinen zum Trocknen auf einen großen Stein auf einer Palette, die im Bächlein steht. Ich finde im Wasser einen kleinen Kiesel, der aussieht wie die Augen von Shiva, die Patrice uns gezeigt hat. Ich hebe ihn auf, drehe ihn um, es ist eins!!! Ich habe Patrice’ Stimme im Ohr: Man muss eine halbe Stunde suchen, um eins zu finden. Und ich finde hier eins, ganz ohne suchen, einfach so! Und ich finde noch eins, gleich daneben. Ich kann es kaum fassen. Sie sehen erst unscheinbar aus, aber ihre Zwitter-Existenz zwischen Muschel und Stein machen sie zu etwas Besonderem. Wahrscheinlich auch das Wissen, dass sie selten sind. Sie sind ganz glatt und hart. Nachher, als Toni auch dabei ist, und ich warme Steine auf ihren nackten Rücken lege, finde ich noch eins. Ich verwahre alle drei in der kleinen Hosentasche meiner Jeans, die innerhalb der größeren liegt, und lebe fortan in der Angst, sie zu verlieren.

Volker hat eine Stellplatz-App auf sein altes Handy geladen. Zwei erfolgreiche Nächte wild stehen haben noch nicht gereicht, ihm die Angst davor zu nehmen. Wir steuern einen Stellplatz in einem Ort namens Sils an, im Landesinneren auf der Höhe von Lloret de Mar. Auf dem Plan sieht es so aus, als ob er direkt an unserer Schnellstraße liegt, das stimmt auch, aber es gibt keine Ausfahrt, wir müssen eine zehnkilometerlange Schleife fahren. Der Stellplatz liegt auf einem großen PKW-Parkplatz direkt an einem Bahnhof. Die Züge hupen, wenn sie an uns vorbeifahren. Um in die Stadt zu kommen, müssen wir eine Brücke mit vielen Treppen über die Gleise nehmen, also ziehe ich ohne Bollerwagen los, mit Peppi in der Manduka und Toni an der Hand.

Wir wollen Brot kaufen. Ein alter, dicker Spanier schließt gerade seine Haustür auf, er bleibt stehen und starrt uns an. Außer ihm sehen wir keinen Menschen. Toni sagt: „Ist das eine Geisterstadt?“ Wir kommen an einem Späti vorbei, auf der Straße steht eine Eistafel. Toni will ein Eis. Großes Weinen. Die Stadt scheint hauptsächlich aus der Straße zu bestehen, durch die wir reingefahren sind. Alles ist weit auseinander und nirgends ist ein Supermarkt. Mir ist wahnsinnig heiß, aber ich kann die Jacke nicht ausziehen, weil ich die schlafende Peppi in der Manduka habe. Wir biegen ab und finden ein Café, in dem Brot verkauft wird. Ich kaufe uns einen Donut. Als er aufgegessen ist, fängt Toni wieder an zu weinen. Es war auch wirklich nicht viel für jede. Wir laufen zurück, Toni weint, und mir gelingt es, meine Verzweiflung darüber zu fühlen und das Weinen und meine Verzweiflung darüber als Realität zu akzeptieren. In diesem Moment entsteht Verbindung mit dem schreienden Monsterchen an meiner Hand. Als wir auf der Brücke sind, fährt unter uns ein Zug durch, der Lokführer drückt auf die Hupe. Wahrscheinlich ist das nett gemeint, aber Peppi erschreckt sich zu Tode.

Wieder am Düdo, essen wir auf dem angrenzenden Spielplatz Brot mit dem letzten französischen Käse – Boursault – und Tomaten. Es ist bewölkt und diesig, Sils bestätigt unsere bisherigen Spanienerfahrung. Wir sind bedrückt. Volker zieht mit den Kindern los, ich schreibe Tagebuch, endlich. Es wird früh dämmerig. Von irgendwoher dringt laute Musik, ein Jugendzentrum? Ich mache auf dem kleinen Kocher Brokkoli ohne alles, die Kinder verschlingen es gierig, als sie wiederkommen. Wir bereiten uns für die Nachtfahrt vor.

Das Navi führt uns mitten durch Barcelona, es ist später Abend und Leben auf den Straßen, wir atmen irgendwie auf und denken an Berlin. Peppi ist unruhig, ich setze mich nach hinten und zitze sie während der Fahrt. Hinter Barcelona nimmt Volker eine kleine Ausfahrt, weil er dringend pinkeln muss. Die Ausfahrt scheint fast nirgendwohin zu führen, die Straße ist mit großen Felsen verbarrikadiert, hier kommt höchstwahrscheinlich niemand vorbei, und wenn, kommt er an uns vorbei. Wir beschließen, hier zu schlafen. Wir wenden, um fluchtbereit zu sein, und stellen uns ganz an den Straßenrand. Die Nacht ist mild.

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