Fam-el-Hissn – Wüste zwischen Akka und Tata

Am nächsten Vormittag Familienausflug, ausnahmsweise zu viert, sonst teilen wir uns ja fast immer auf, aber hier ist es so spektakulär, dass beide Erwachsenen mitwollen auf die vormittägliche Exkursion. Ich kraxele mit Toni den Geröllberg hoch, auf dem gestern Volker und Mohammed waren. Euphorie als wir oben auf dem Plateau stehen. Der Berg unter unseren Füßen macht beim Laufen hohle Geräusche, als wäre er kein Massiv. Ist er auch nicht, sondern Sandstein. Wir finden erst keine Stelle wo wir wieder runterkämen, dann geht es doch, auf dem Hosenboden. Sobald Volker und Peppi zu uns stoßen, will Toni nicht mehr laufen. Die Vorstellung von dem Ausflug war mal wieder besser als die Umsetzung.

In einem ausgetrockneten Nebenarm des Flusslaufes findet Volker Reste eines Kamel-Skeletts. Wir holen den Schädel in den Schatten, ziehen dem Kamel ein paar Zähne, für die Laubhütte im Kindergarten. Die Zähne sind sehr groß und sitzen fest, wir kriegen sie ohne Werkzeug fast nicht aus dem Kiefer. Die Wurzeln sind noch gelb und unverwittert, stinken sogar noch. Uns fallen immer mehr Kandidaten ein, die sich auch über Kamelzähne freuen würden. Als wir weitergehen, ist der Unterkiefer halb leer, wir Leichenfledderer. Dann finden wir noch ein Schienbein mit Huf, und das sieht leider nicht nach Kamel, sondern nach Esel aus. Ich beharre darauf, dass der Schädel trotzdem Kamel und nicht Esel gewesen sei, aber Volker ist skeptisch.

Wir finden tatsächlich einen Felsbrocken mit gemeißelten Spuren, zwar keine Tiere, sondern nur Striche, ich mutmaße, dass die Leute hier vielleicht ihre Faustkeile geschärft hätten.

Mittags halten wir in Fam-el-Hissn, wir brauchen Obst und Brot. Das Baguette, das ich hier an einem Kiosk mitten in diesem Wüstenkaff erstehe, ist das beste, das wir seit Frankreich gegessen haben. Es ist selbst für französische Verhältnisse fantastisch.

Es klopft an der Düdotür, ein älterer Herr mit Brille steht davor und stellt sich vor als derjenige, der hier eigentlich die Führungen zu den Gravuren macht. Er sei der Experte, habe in allen Läden Visitenkarten ausgelegt. Dementsprechend groß wahrscheinlich seine Enttäuschung, dass Mohammed uns ihm gestern vor der Nase weggeschnappt hat. Er kam offenbar einige Momente zu spät, hat noch gesehen, wie Mohammed in unser Auto stieg. Er fragt, warum wir mit „diesem Mann“ gegangen seien, der sei nicht richtig im Kopf. Wir sagen, dass wir von seiner, also des Professors, Existenz keine Ahnung gehabt hätten, und das nächste Mal natürlich ihn konsultieren würden, lassen uns seine Visitenkarte geben.  

Die Wüste, durch die wir fahren, sieht schon wieder anders aus als die Wüsten, durch die wir gestern oder vorgestern gefahren sind. Warum eigentlich, alles besteht aus Geröll und Bergen, trotzdem ist sie immer wieder neu.

Wir steuern einen freien Platz bei Akka an, den Basti uns empfohlen hat. In Akka wollen wir tanken, laut Landkarte gibt es hier eine Tankstelle. Wir sehen aber keine, fragen einen jungen Mann am Straßenrand. Weiter geradeaus, sagt er, dann auf der linken Straßenseite. „Ihr werdet es sehen.“ Wir hätten es niemals gesehen. Die Tankstelle ist ein Kiosk, an dem in 5-Liter-Wasser-Kanistern Diesel mit einem selbstgebastelten Trichter in den Tank gekippt wird.

Wir finden die Stelle nicht, von der Basti gesprochen hat, fahren weiter Richtung Tata, hoffen, dass wir irgendwo eine Stelle zum Übernachten finden. Aber die Straße verläuft schnurgerade auf einer Böschung, man kommt nirgends runter. Ich klettere mit den Kindern aufs Bett, hier ist weit und breit kein Auto außer uns, Volker fährt nicht schneller als 50, was soll passieren. Wir können die wachen Kinder keine weitere Stunde – und so lang wird es mindestens dauern bis Tata, wo der nächste Campingplatz ist – in die Kindersitze sperren, das gäbe einen Aufstand. Es ruckelt hier hinten viel mehr als vorne, die Kinder wippen und juchzen bei jeder Bodenwelle. Sie fangen an zu hüpfen, ich finde es jetzt doch ziemlich gefährlich, also nicht lebensgefährlich, aber sie könnten sich doll stoßen. Oder sich an den Karotten verschlucken, die sie knabbern.

Die Karotten-Stückchen purzeln bei jedem Holpern aus ihren Mündchen. Ich schäle Gemüse während der Fahrt, damit das Abendessen nicht so lange dauert, es ist schon spät am Nachmittag. Plötzlich findet Volker eine Stelle zum Wenden, sagt, dass er eine Piste gesehen hat, auf der wir womöglich von der Straße runter kommen. Wir hier hinten sehen ja nichts. Die Kinder fliegen fast an die Decke, als der Düdo die Böschung runter federt. Große Begeisterung. Ich habe Angst, dass ihre Köpfchen aneinander knallen. Toni ist aufgekratzt und wild. Wir fahren an dem Brunnen vorbei, den Volker angesteuert hat, denn ich habe panische Angst vor dem tiefen Loch. Ein paar Hundert Meter weiter halten wir, mitten in der Einöde, man sieht die Straße nicht mehr. Noch nie standen wir so weit entfernt von jeder menschlichen Ansiedlung.

Volker wandert allein in die Landschaft hinein, ich koche. Toni und Peppi fangen an zu spielen, Sternchen muss ins Krankenhaus, sie brauchen einen Teppich und eine Tasche und eine Flasche und allerhand anderes, ziehen dann gemeinsam los in die Pampa, also ein paar Meter weiter. Toni pustet mir auf der flachen Hand ein Küsschen zu, Peppi auch. Leider ist der Wind so stark, dass die Küsschen nicht bei mir ankommen.

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