Hondarribia – Solférino

Auch am nächsten Morgen Nebel. Manchmal geben die Schwaden einen kurzen Blick frei auf das Meer, das aussieht, als hätte jemand die Stopptaste gedrückt. Die Wellen bewegen sich nicht, die Brandung bleibt statisch weiß an Ort und Stelle, der Moment ist wie eingefroren, wir gruseln uns, vergewissern uns darüber, dass sich zumindest hier oben noch alles bewegt, Blätter im Wind, ab und an ein Auto, Mountainbiker, unsere Kinder, der Regen. In der Luft immer wieder große Raubvögel, ich sage Adler, Volker sagt Geier, ich dachte, Geier gäbe es nur in der Wüste.

Kaum sind wir auf der Straße – es ist schon nach zwölf, der Vormittag ist uns mal wieder weggerutscht wie ein Schneebrett – sehen wir die Viecher auch auf den Wiesen sitzen, jetzt unverkennbar die gebogenen, nackten Hälse: Geier. Bevor wir damit fertig sind uns zu fragen, was die hier alle machen, sehen wir die Kadaver: Zwei halbe Pferde oder Esel liegen im Gras. Bestimmt nicht zufällig, sondern als Geierfutter ausgelegt. Wir fotografieren, ein Pärchen auf einem Motorrad auch.

Wir tanken noch billig in Spanien, finden spontan keinen Supermarkt um auch noch einmal billig einzukaufen, überqueren also ohne Proviant die Grenze, die ebenso unsichtbar ist wie die letzte, die wir überquert haben, die von Portugal nach Spanien. Nicht einmal ein „France“-Schild. Oder wir sehen es nicht. Nieselregen, kühl, trotzdem schwül. Erster Großeinkauf in Frankreich, Lidl. Obst und Gemüse sind wie befürchtet um mindestens ein Drittel, vielfach sogar um die Hälfte teurer als in Spanien. Dafür sind kurioserweise Bio-Eier plötzlich wieder günstig, Käse und Milchprodukte auch. Kann trotzdem nicht recht feiern, dass wir wieder in Frankreich sind, zu frustig ist das Ambiente, zu schlecht das Wetter.

Wir wollen die mautpflichtige Autobahn vermeiden, gurken an der dichtbesiedelten Küste entlang, von Ampel zu Ampel, von Kreisverkehr zu Kreisverkehr. Kriegen wenigstens einen Eindruck von der Gegend, unter der ich mir weiß Gott was vorgestellt hatte – Atlantikküste, Biarritz, müsste das nicht irgendwie mondän und schick und leicht sein? Statt dessen immer noch die unangenehm bombastische Architektur mit ihren Wohnriegeln, deren ästhetisches Vorbild offenbar das alpenländische Chalet ist – holzverschindelt und mit schwarzen oder roten Giebeldächern obendrauf, dabei aber unproportional groß; mehrstöckige, abweisende Klötze. Warum um alles in der Welt bauen die Leute hier so hässlich?

Sobald wir können, fahren wir auf die mautpflichtige Autobahn, bereuen es schon an der allerersten Mautstelle: So viele Euro für so wenige Kilometer, kann das denn sein? Ich suche eine France-Passion-Station, die nicht weit von der Autobahn entfernt ist. Wir lösen endlich das Rätsel, warum die Region zwischen Biarritz und Bordeaux auf allen Frankreichkarten grün eingezeichnet ist, die Antwort ist fast zu einfach: Links und Rechts der Autobahn erstreckt sich Wald. Wald, in dem sich offenbar nur wenige Orte befinden. Einen davon, Solférino, steuern wir an. Es ist wieder heiß und sonnig geworden.

Die Entenfarm gibt es nicht mehr, auch keine Restposten an Entenstopfleber, dieser perversen Delikatesse. Dafür eine riesige, schattige Wiese inmitten des Waldes hinter dem Haus der Entenfarm-Chefin a.D. Wir können unser Glück kaum fassen, so viel Platz nur für uns, von allen Seiten sichtgeschützt, ein herrlich privater Ort, um den Nachmittag zu vertändeln. Wir beugen uns über die Frankreichkarte, versuchen uns an einer Routenplanung. Ist schon noch weit bis Böblingen.  

Toni, Peppi und ich wollen draußen schlafen, der Platz ist herrlich dafür geeignet, geschützt und doch menschenleer, inmitten der dünnbesiedelten Gascogne. Es ist lange hell, wir liegen in der ewigen Dämmerung und merken, wie es nach und nach um wenige Stufen dunkler wird. Toni kann nicht schlafen, steht nach langer Gutenachtgeschichte und tausend Liedern doch nochmal auf. Schimpfe frustriert rum, sie geht zu Volker in den Düdo. Ich schlafe mit Peppi ein, wache erst nachts um drei auf, der Mond ist so hell und der Boden so hart, dass auch wir nach drin umziehen.

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