Jestetten – Lago di Lugano

Seit Toni keinen Kindersitz, sondern ihre Filly-Pferd-Sitzerhöhung hat, kann der Tisch während der Fahrt oben sein. Wir fahren neuerdings ständig mit wachen Kindern, ein Quantensprung in Sachen Reisegeschwindigkeit.

Regen, Suppe, wir fahren durch die Alpen und sehen: Nichts. Außer den dunkelgrünen langgestreckten Seen, über denen tief die Wolkenfetzen wabern. Lange vor dem Gotthardtunnel fängt der Stau an. Stop and Go. Und das bergauf. Mein linkes Bein tut weh vom vielen auf die Kupplung treten. Irgendwann stottert der Düdomotor. Ein fürchterliches Geruckel auf den wenigen Metern, die wir fahren können. Bilde mir ein, dass es nach verbranntem Gummi riecht.

An der nächsten Ausfahrt verlassen wir die Staustraße. Halten im Regen hinter zwei anderen Autos mit aufgeklappten Motorhauben. Ein Mann mit Schirmmütze fragt uns, ob wir der ADAC seien, den er gerufen habe. Sind wir nicht. Auch wir klappen unsere Motorhaube auf. Nicht, dass wir irgendwas erkennen würden, wenn was wäre. Immerhin qualmt es nirgends. Wir klappen die Motorhaube wieder zu, damit es nicht reinregnet. Ich stopfe mir an der Hecktür heimlich große Brocken Rittersport in den Mund. Als ich einsteige, ist Peppi wieder wach.

Wir wollen zurück auf die Staustraße neben uns, aber die Zufahrt ist mit einer Schranke versperrt. Müssen also unserer Straße folgen, die führt in einen Ort, an einen Kreisverkehr, es geht entweder bergauf, zu den Pässen, oder Richtung Gotthardtunnel bergab, da wo wir herkommen. Wir wollen nicht auf die Pässe, wir wollen durch den verflixten Tunnel. Das Gotthardtunnel-Schild führt uns auf die Straße, die wir uns eben eine Stunde lang hochgequält haben. Aber in Gegenrichtung! Wir rollen bergab, an der Blechkolonne vorbei, als deren Teil der Düdo sich eben krank gestottert hat. Wir müssen das doch nachher alles wieder hoch! Der Düdo rollt und rollt, keine Ausfahrt kommt, wir könnten heulen.

Wir stehen in der Nebelsuppe am Ortseingang irgendeines Bergkaffs, von dem man ohnehin nichts sieht. Plädiere dafür, hier ein paar Stunden abzuwarten, bis sich der Stau aufgelöst hat. Wir können es nicht riskieren, dem Düdo das selbe nochmal anzutun, was ihn eben offenbar hart an die Grenze gebracht hat. Und uns auch nicht. Wir stopfen die Kinder in ihre Regenkluft, dann zieht Volker, tapferer Held, mit ihnen los.

Hinter dem Tunnel ist das Wetter tatsächlich etwas besser. Letzte Sonnenstrahlen. Rast an einem Bächlein, das unter einer Betonbrücke über große Steinplatten fließt, kurz bevor es sich in einen gurgelnden Gebirgsbach ergießt. Die Kinder in Gummistiefeln taumeln von Platte zu Platte, rudern unkoordiniert mit langen Stöcken durchs Wasser und durch die Luft. Ich erwarte, dass eins der Länge nach ins Wasser fällt. Die relative Gewissheit, dass es ohnehin passieren wird, entspannt mich. Ich kann sie schon nachvollziehen, die Angst der Spielplatzeltern, die ihren Kindern ständig zurufen, dass sie aufpassen sollen. Es kostet eine bewusste Anstrengung, die Kinder nicht mit seiner Angst zu behelligen. Es wird dann aber auch für einen selbst besser. Wie schrecklich, so ein Alltag in Angst.

Dann fällt aber doch keins ins Wasser, Toni rutscht nur aus, als sie die Böschung hochkraxelt. Und Peppi stürzt beim Rennen auf der Straße in ihren zu großen Gummistiefelchen. Beide weinen, beide wollen Pflaster, als wir wieder beim Düdo eintreffen. Wenn Volker mit den Kindern loszieht, kommen immer alle vergnügt zurück, wenn ich mit ihnen losziehe, immer Land unter.

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