Mallemort – Vic-le-Fesq

Der Plan war, uns den Vormittag über wieder an der Durance zu verabenteuern, diesem herrlichsten aller herrlichen Flüsse. Wir sind gestern Abend, auf der Suche nach einem Schlafplatz, aber noch sieben Kilometer in die Richtung gefahren, in die wir ohnehin müssen. Wollen jetzt nicht zurück, sondern eine neue Badestelle finden, die auf unserem Weg liegt. Wir Naivlinge. Wir idiotischsten aller idiotischen Abenteurer. Als wären wir blutige Anfänger und wüssten nicht, was für ein seltenes Glück eine gute Badestelle ist. Allemal vierzehn Kilometer Umweg wert. Wir suchen, aber wir finden keine. Entfernen uns dabei immer weiter von der, die wir kennen. Entfernen uns von der Durance selbst, denn die Straße folgt nicht länger dem Flussverlauf. Die Landschaft industrialisiert sich, je mehr wir uns der Rhône-Mündung nähern. Als die Durance wieder auftaucht, linker Hand, ist alle Natur rundum verschwunden. Eine Art Schnellstraßen/Autobahn-Dreieck, ein Gewirr aus Brücken über dem Fluss, Betonpfeiler, auf denen der ganze Straßenasphalt ruht. Es wäre möglich, hier irgendwo zu parken, die Schnellstraße zu Fuß zu überqueren, und das Wasser zu erreichen, aber wollen wir den Vormittag halb unter der Autobahn verbringen?

Wir haben den Kindern den ganzen Morgen über wiederholt, dass wir wieder zum Fluss fahren. Mein Entsetzen darüber, dass wir – schon wieder – unser Versprechen nicht halten können. Kein Wunder, dass Toni keinen Bock mehr hat.

Um mich von meiner Selbstzerfleischung abzulenken, setze ich mich hinters Steuer. Wir halten auf Nîmes zu. Kommen langsamer voran als gedacht, weil alle paar Meter ein Kreisverkehr kommt, für den ich in den zweiten Gang runterschalten muss, sonst fliegt den Kindern hinten in der Kurve alles um die Ohren. Nîmes scheint eine riesige Stadt zu sein, dem dichten Verkehr nach zu schließen.

Die Stelle, zu der Volker uns lotst, ist fantastisch. Ein Flüsslein am Rand eines Dorfes, klares Wasser, in dem die Fische flitzen, eine echte Badestelle neben der Brücke, die Volkers Ziel war. Das ist alles mehr als wir zu hoffen gewagt hatten. Der Fluss hätte auch ein ausgetrocknetes Flussbett, allenfalls ein dünnes Rinnsal sein können. Das Ufer hätte zugewuchtert und unzugänglich sein können. Statt dessen das: Weiße Kiesel, auf denen schon eine Familie ihre Decke ausgebreitet hat. Der Vater steht mit einem riesigen Sonnenschirm bis zur Hüfte im Wasser. Eine Scholle verbrannter Wiese zwischen Wald und Stoppelfeld, jetzt am Nachmittag im Schatten, ein Plätzchen wie geschaffen für den Düdo. Mehr Brombeeren als wir essen können.

Die andere Familie ist nicht mehr da, als wir unser Lager am Fluss aufschlagen. Volker schneidet mir die Haare. Toni taucht. Die Brücke führt auf ein Privatgrundstück: „Privé!“ Mittlerweile kennen wir die Schilder und wissen, dass sie genauso gemeint sind. Trotzdem brettern in regelmäßigem Abstand mehr oder minder verbeulte Kleinwagen über die Brücke, junge Leute am Steuer, wummernde Bässe. Erst denken wir, eine Party. Aber die Kleinwagen wummern nach kurzer Zeit den Weg zurück, den sie gekommen sind. Auf dem Privatgrundstück muss ein Dealer wohnen, anders können wir uns den Publikumsverkehr nicht erklären.

Manche der Druffis machen auf dem Rückweg Rast an der Brücke, auch eine Familie mit großen Söhnen taucht auf, die halten ihre Angeln in den Fluss. Und eine weiße Amerikanerin mit einem schwarzen, halbwüchsigen Mädchen. Die Frau spricht Toni auf französisch an, ich kläre auf, wir from Germany, sie from New York City. Ein herrlicher Nachmittag, Volker wollte arbeiten, bleibt aber bei uns hängen, zu schön ist es heute hier.

Fertige Galettes aus dem Kühlregal, in der Pfanne kommt Spiegelei und Reibekäse drauf. Zusammenfalten, knusprig, fertig. Dazu Salat. Alle sind begeistert. Die Kinder, mit letzter Kraft bettfertig gemacht, lassen sich nicht ins Bett bringen, sondern packen ihre Rucksäckchen für eine Wanderung. Eigentlich eine gute Idee, wir fügen uns. Sie marschieren vollbepackt los übers Stoppelfeld, Toni erfindet die passende Geschichte, wer da wohin wandert und warum, Peppi zieht bereitwillig mit. Volker und ich sitzen vor dem Düdo, genießen den Moment kostbarer Ruhe. Bei uns ist die Sonne schon untergegangen, aber es sieht aus, als tauche sie dort, wo unsere Kinder hinstreben, das Stoppelfeld noch in rotgoldenes Licht. Eine Fata Morgana? Irgendwann weint Peppi herzzerreißend auf, schrille Klagelaute dringen übers Feld. Ich renne los, ist sie gefallen, hat sie ein Insekt gestochen? Es ist das Bonbon, das Toni im großen Rucksack gefunden hat, ein einziges. Ich schlage vor, das Bonbon zu teilen, Toni ist einverstanden, Peppi hört auf zu weinen. Puh.

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