Oase Tighmert – Fam-el-Hissn

Es sind weitere schlimme Deutsche eingetroffen, unter anderem ein alter, versoffen aussehender Berliner, der laut Schlager hört und sich beim Reden viel zu nah neben mich stellt. Ich habe die Kinder während Volker arbeiten soll, aber er wird ständig von den Nachbarn in Gespräche verwickelt. Anders als ich bleibt er immer höflich und geht auf alles ein.

Weil wir es so eilig hatten, von dem Campingplatz runter zu kommen, haben wir das serielle Foto vergessen, das passiert in letzter Zeit dauernd, wir sind nachlässig geworden. Volker macht ein Foto vom Düdo auf dem Feldweg, auf dem wir halten um zu essen. Ich brate den Couscous von vorgestern an, haue ein paar Eier drüber, es schmeckt köstlich, sogar Peppi verputzt alles. Ein Marokkaner knattert auf seinem Motorrad vorbei, hält an, fragt, ob wir Wasser bräuchten, oder sonst etwas? Wie nett ist das denn. Wer würde so was in Deutschland denn machen? Aber wir brauchen nichts, vielen Dank!

Wir haben eine weite Etappe vor uns, 135 Kilometer, zum Glück schläft Toni diesmal ein.  Uns überholt ein Pick-Up, der Kamele hinten drauf hat. Im Reiseführer steht in einem Nebensatz, dass es in Fam-el-Hissn prähistorische Gravuren gibt, Tierdarstellungen. Deshalb wollen wir hier hin. Toni war ja enttäuscht, dass wir in der Höhle von Nerja die Tier-Malereien nicht sehen durften, vielleicht findet sie Tier-Gravuren genauso gut. An der Straße nach Fam-el-Hissn steht ein Schild, dass es hier zu den „Gravures rupestres“ geht. Gut. Aber in Fam-el-Hissn angekommen, gibt es kein Schild mehr. Wir fragen einen Passanten. Der sagt non. Komisch, ist das nicht die einzige Sehenswürdigkeit seines Ortes? Wir fahren ins Stadtzentrum, Volker steigt aus und befragt einen Schreiner, der freundlich gewunken hat. Ich bleibe im Auto mit den jetzt wachen Kindern, stille Peppi, sehe, dass das Gespräch lange dauert, offenbar ist es nicht so einfach.

Ein weiterer Mann gesellt sich dazu, bedeutet Volker, dass er seine Einkäufe – ein Tütchen Eier, denn Eierkartons gibt es hier nicht, Eier werden vorsichtig in kleine Plastiktütchen gepackt, und das klappt erstaunlich gut, rohe Eier sind gar nicht so empfindlich, uns ist erst ein einziges kaputt gegangen – der Mann also bringt seine Eier nach Hause und will dann wiederkommen. Volker steigt ein, sagt, dass der Mann uns zu den Gravuren führen wird.

Er ist wirklich in Nullkommanix wieder da, klettert auf den Beifahrersitz. Draußen steht ein Vater mit seiner Tochter, einem Mädchen mit Jeansjacke und Kopftuch von vielleicht 11 Jahren. Bedeutet uns, nochmal die Tür zu öffnen. Offenbar sollen wir das Mädchen mitnehmen, gern, so was haben wir schon manchmal gemacht. Das Mädchen steigt ein, küsst Toni auf die Backen, küsst Peppi auf die Backen, küsst mich, und steigt wieder aus. Winken, wir fahren los, biegen hinter dem Ort auf eine Schotterpiste in einem vertrockneten Flussbett ab, unser Führer ist zielstrebig, aber nicht sonderlich gesprächig, wir wissen noch nicht einmal wie er heißt.

Er bedeutet uns zu halten, hier werden wir auf den Berg klettern. Normalerweise würden wir fürs Kinder anziehen, Sachen zusammenkramen, Rucksack packen etc. mindestens 20 Minuten brauchen. Aber Volker denkt, dass unser Führer nicht viel Zeit hätte, und treibt zur Eile. Ich frage ihn, wie er heißt, verstehe Moimid, begreife erst viel später, dass er heißt wie jeder Zweite hier: Mohammed. Mohammed also hat es offensichtlich eilig, hilft den Kindern die Schuhe anziehen, ich raffe Jacken zusammen, verzichte darauf, meine Wanderstiefel rauszukramen, werde in Flipflops übers Geröll steigen. Mohammed schnappt sich Peppi und sprintet den Berg hoch als wäre es eine ebene Straße. Volker ruft mir zu, dass er sich um Toni kümmert und ich an den beiden dranbleiben soll.

„Des traces des australopithèques“ sagt Mohammed immer wieder und zeigt auf die Sandstein-Landschaft gegenüber. Was für Spuren, frage ich. Von den Australopithecinen, sagt Mohammed. Ich starre auf den zerklüfteten Fels und frage mich, wonach ich suchen soll. Ihre Häuser sind eingestürzt, sagt Mohammed.

Ich bin baff, wie gut die Tiere zu erkennen sind. Mohammed klärt uns auf: Kinder haben die originalen Umrisse mit Steinen nachgeritzt. Er zeigt uns den Unterschied. Die Australopithecinen haben mit dem Faustkeil gemeißelt, die Kinder ritzen. Die Spuren der Kinder sind noch nicht verwittert, sondern frisch. Ich frage Mohammed wie alt die Gravuren seien, er antwortet: „Sehr, sehr alt.“ Selten hat mir ein Museum so viel Spaß gemacht wie diese Fundstellen.

Erst als wir am übernächsten Tag mit Campingplatz-Wifi googeln, merken wir, welche Lücken da in unserer Allgemeinbildung klaffen. Australopithecinen sind irgendwas zwischen Affe und Mensch, haben vor Millionen Jahren gelebt, und ganz bestimmt keine Gravuren gemeißelt. Die Gravuren, die wir gesehen haben, sind höchstwahrscheinlich etwa 10.000 Jahre alt.

Wir kraxeln vom Berg wieder runter, wie geht es jetzt weiter, raunt Volker mir zu, bringen wir ihn jetzt zurück in die Stadt? Mohammed will uns zu einem Campingplatz begleiten, zu dem wir gar nicht wollen, wir wollten heute Nacht eigentlich frei stehen, aber wir wollen ihn nicht brüskieren. Volker fragt, wo das Wasser herkommt, wir sind in einem ausgetrockneten Flusstal, überall wachsen Palmen, rundherum Wüste. Mohammed fragt, ob wir noch die Quelle sehen wollen, ja, wollen wir gern. Zuerst kommen wir an einem viereckigen Loch im Boden vorbei, einem Brunnen, den zu Kolonialzeiten die Spanier gebaut hätten, das Loch ist mit Gips eingefasst, nicht mit Zement, erklärt Mohammed. Weit unten Wasser, ich klemme Peppi so fest ich kann, ich habe immer wahnsinnige Angst, dass ein Kind in den Brunnen fallen könnte.

Zwischen den Palmen spielen Kinder, Mohammed zeigt auf einen Jungen und sagt, dass das der Schlawiner sei, der die Tier-Umrisse geritzt hätte. Im Schatten sitzen Gruppen von Frauen, alle in die üblichen bunten Tücher gehüllt. Mohammed fragt, ob wir Couscous mit ihnen essen wollten. Wir sagen nein danke. Bei der nächsten Gruppe fragt er, ob wir einen Tee trinken wollten. Die Frauen winken uns heran, warum eigentlich nicht, wir sagen ja. Sie nehmen Peppi auf den Arm und küssen Toni, wir kriegen Tee, sie machen mit ihren riesigen Smartphones Gruppenfotos mit uns. Wir würden wie immer am liebsten fotografieren wie sie uns fotografieren, aber das geht logistisch nicht. Zum ersten Mal kriegen auch unsere Kinder Tee. Wir können nicht nein sagen, alle reden auf uns ein, dass die Kinder hier das auch trinken würden. Sie machen uns Platz auf den Plastikplanen, auf denen sie sitzen, stellen einen großen Teller mit Nudelsuppe und einem Stück Fleisch vor uns hin. Das haben sie vor Ort in einem bauchigen Kochtopf auf dem Feuer gekocht. Eine Frau füttert Toni, ich bemerkt zu spät, dass sie nicht glücklich aussieht, also Toni. Später sagt sie, dass es ihr nicht geschmeckt hat, sie sich aber nicht getraut hat, stopp zu sagen. Peppi schmeckt es fantastisch, sie isst so viel wie selten. Mir schmeckt es auch. Irgendwann drängt Mohammed zum Aufbruch.

Wir halten an einer fantastischen Stelle mit Blick das Tal entlang auf die Bergkuppen dahinter, hohe Dattelpalmen. Mohammed klettert mit Volker auf den Hügel daneben, für noch bessere Aussicht, im üblichen Affenzahn, ich bleibe mit den Kindern im Auto, vorlesen. Als sie zurückkommen, schmeißt Mohammed Steine auf die Palme, Datteln rieseln herunter. Volker holt uns, wir können kommen und Datteln auflesen. Ich fasse mir ein Herz und frage Mohammed ob wir hier übernachten können, statt uns zu dem Campingplatz lotsen zu lassen, zu dem er uns lotsen will. Selbstverständlich, sagt er, ihr seid freie Leute. Wir beschließen, lieber Mohammed das Geld zu geben, das wir sonst für den Campingplatz gezahlt hätten.

Wir bringen Mohammed zurück in die Stadt, ruckeln dann im letzten Tageslicht zurück über die Piste zu der Stelle. Als die Kinder bettfertig sind, gehen wir nochmal Sterne gucken. Es gibt sehr, sehr viele davon. Der Mond ist eine ganz feine Sichel. Toni ist ja total fasziniert von Planeten und Weltall und so und hat zu Weihnachten ein Buch bekommen und stellt viele Fragen, die wir nicht beantworten können. Ich kann mir das alles auch überhaupt nicht vorstellen. Dass es all diese Millionen von Sternen gibt und das All und dazwischen unsere Erde.

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