Oase Tighmert, Camping Oasis de Tighmert

Die Wolken werfen riesige Schatten auf die Hügel gegenüber. Ich kriege schon wieder den Campingplatz-Rappel – wir sind ja schon wieder auf einem! – vielleicht eher Franzosen-Rentner-Rappel, der Aufenthalt in Marokko kratzt am durchweg positiven Bild, das ich bisher von Franzosen hatte. Zumindest hat Toni hier Spielkameradinnen, obwohl die Deutschen nicht da sind, nämlich die Töchter von Hassan. Aisha und Mariam. Gestern ist es ihr gelungen, sie kurz in den Düdo zu locken, die vereinte Anstrengung der gesamten Familie, sie zum Bleiben zu bewegen, hat aber nicht gefruchtet. Heute hat Toni sich kurzerhand bei ihnen eingeladen, ist in dem ockerfarbenen Bungalow in der Mitte des Platzes verschwunden und ward nicht mehr gesehen.

Tonis früher als solche titulierte Schüchternheit ist in ihr völliges Gegenteil umgeschlagen. Ich mache mir jetzt eher Sorgen, ob ihr auf der Reise jegliches Schamgefühl, jegliche Vorsicht abhanden gekommen ist. Distanzlos wie ein marokkanischer Schlepper auf die Touristen, stürzt Toni sich auf die marokkanischen Kinder, wenn wir welche treffen, und zieht sie an der Hand dahin wo sie sie haben möchte. Die Kinder reagieren ihrerseits zurückhaltend und verschreckt ob der etwas übergriffigen Kontaktaufnahme unserer Tochter. So wie wir oft auf die Marokkaner.

Ich komme mit dem Textkürzen nicht voran, weil ich schon wieder zu viel nachzutragen habe, ganz Sidi Ifni, unsere Arbeit am Blog. Ich schreibe jetzt also übers Schreiben, eine selbstreferentielle Farce. Bald drei Wochen sind wir mit nichts anderem beschäftigt, ein Ende ist nicht abzusehen.

Plötzlich rumpelt das Deutsche Rote Kreuz, der Düdo der Tübinger, auf den Campingplatz, direkt dahinter der Bremer von den Kölnern. Große Freude unsererseits. Wir teilen unsere Suppe von gestern, reicht nicht ganz für alle, es gibt auch Brot mit Butter und Emmentaler, unserem Luxusprodukt aus dem Marjane. Am Alutisch, an dem gegessen wird, ist kein Stuhl mehr frei – die haben Stühle dabei, wir nicht – ich nehme die schlafende Peppi als Vorwand, mich mit meiner Schüssel Suppe in den Düdo zu verziehen, soziophob wie ich bin. Volker übernimmt das Socializen, ich darf den ganzen Nachmittag schreiben.

Die Tübinger kochen abends Kürbissuppe, laden uns dazu ein, ich freue mich. Als die Kinder im Bett sind, wissen wir immer noch nicht, wie es morgen eigentlich weitergeht. Die Kölner und die Tübinger sitzen draußen zusammen, in der Dunkelheit in der Kälte, weder Volker noch mich zieht es hin. Aber ich will Klarheit was morgen ist, überwinde die Soziophobie und geselle mich kurz dazu. Die Kölner haben einen dreijährigen Sohn, Karl, mit dem Toni gut gespielt hat, schon noch mal freudiger als mit Aisha und Mariam, die bis zuletzt in ihrer eher beobachtenden Rolle geblieben sind. Wir freuen uns für Toni und natürlich entlastet es uns, wenn sie beschäftigt ist. Endlich mal ein Kind, an dem man dranbleiben könnte, wir wollen das gern noch ein paar Tage genießen.

Ich trete also an diese Tischrunde heran und die Leute sagen nicht „Hey“ oder gar „Setz dich dazu“, sie reagieren gar nicht auf mich. Das kann natürlich eine Milliarde Gründe haben, die alle nicht mit mir zu tun haben. Trotzdem sind fiese Pubertätswunden bei mir getriggert. Nur die Tübingerin ist nett und normal. Ich, erwachsen, trage bald mein Anliegen vor: Was ist morgen, bleiben sie hier, fahren sie weiter, wo fahren sie hin? Sie wissen es noch nicht. Auch gut. Ich sage, dass wir auf jeden Fall den Campingplatz verlassen werden und uns ihnen eventuell anschließen, wenn sie nichts dagegen haben. Sie sagen nicht, dass sie sich freuen würden, wenn wir uns ihnen anschließen, aber sie scheinen auch nichts dagegen zu haben. Die nette Tübingerin ist rein gegangen, ihr Baby stillen.

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