Oualidia

Toni in ihrem grotesken Outfit, selbst angezogen: Katzenhose, Hello-Kitty-Shirt, darüber den Badeanzug, auf dem Kopf das Kokosnuss-Hütchen. Ich gebe ihr die Kiste mit den Schleich-Tieren, schicke sie zum VW-Bus der beiden englischen Boys, Max and Harry. Sie geht los, stellt die Kiste auf dem Brückengeländer ab, warum bloß? Ah, um sich den Träger vom Badeanzug wieder hoch zu schieben.

Wir warten auf Heinz, der uns mit einem Schlauch Gas aus der roten marokkanischen Flasche in unsere füllen kann. Angeblich. Hoffentlich. Wegen Heinz bleiben wir noch einen Tag und eine Nacht mehr auf dem riesigen Parkplatz. Am späten Nachmittag taucht er auf, die Pfeife im Mund: Sollen wir? Wir, begeistert, ja unbedingt! Er kramt den Schlauch aus dem Bauch seines Womos, wir sollen ein Seil beisteuern. Wozu bloß? Egal. Volker bietet beflissen alle Seile an, die zur Auswahl stehen. Die rote, rostige marokkanische Flasche wird mit dem Schlauch mit unserer properen, grauen, deutschen verbunden. Volker, mutig: „Sie haben da die Pfeife im Mund, und äh, das ist ja Feuer, und dann hier mit dem Gas, ist das nicht ein bisschen gefährlich?“ Der Heinz, verständnislos: „Wieso, ist doch alles verschlossen.“

Die Pfeife bleibt zwischen den Lippen vom Heinz. Ich gehe mit den Kindern ein paar Meter zurück, Toni will aber alles gut sehen. Die marokkanische Flasche wird am – aha – Seil aufgehängt, und zwar an der Leiter hinten am Düdo. Und dann soll das Gas, der Schwerkraft folgend, von der oberen in die untere fließen. Ich sitze auf der Bordsteinkante, neben mir die Frau vom Heinz und die unkende Österreicherin, die das alles nicht gut findet. Ich mache Fotos. Die Frau vom Heinz: „Aber nicht ins Internet stellen, sonst kommt mein Mann ins Gefängnis.“ Die Österreicherin: „Und Sie auch.“

Ich erfasse nicht ganz, welches von beiden Problemen sie gravierender findet: Dass der Heinz uns mit einem selbstgebastelten Schlauch Gas umfüllt, oder dass wir so leichtsinnig waren, mit nur einer Gasflasche los gefahren zu sein. Und also schon seit Tagen ohne Gas. Ohne Heizung. Und dann noch mit Kindern. „Man hat ja auch eine Verantwortung.“ Hier sei auch Winter, und Wärme ja wohl das Wichtigste für Kinder, blablabla, „Sie sind ja ganz schön risikofreudig.“ Die blöde Schabracke erinnert mich in ihrer Selbstgefälligkeit an Liso.

Der Heinz und Volker schütteln am Schlauch herum. Ich gehe mit den Kindern auf den Spielplatz, auch eine ziemlich risikofreudige Tat, denn an den Spielgeräten staken überall da scharfkantige Metallzacken heraus, wo irgendwas abgebrochen ist, also an ziemlich vielen Stellen. Außerdem im Sand in Wadenhöhe offen bleckende Stahlrohre, wo mal ein Spielgerät war, jetzt aber nicht mehr. Toni spielt mit marokkanischen Kindern, die Eltern sprechen kein Französisch. Der Vater macht Gruppenfotos, die er uns am nächsten Tag per Whatsapp schickt. Was für nette Leute. Ich lasse Toni allein bei ihnen auf dem Spielplatz und schlendere mit Peppi auf dem Arm zum Düdo zurück, wo Volker mit der eingeschalteten LED-Taschenlampe gegen den Gasschlauch klopft. Die Österreicherin, gehässig: „Probieren Sie es jetzt zu erwärmen?“ So ein Blödsinn, LEDs erzeugen überhaupt keine Wärme. „Nicht, dass wir hier alle in die Luft fliegen.“

Das Problem, das wir am gravierendsten finden: Die Schwerkraft macht keinen guten Job, das Gas fließt nicht. Die graue Flasche ist immer noch deutlich leichter als die rote. Der Heinz meint, weil es zu kalt sei. Hat sich in sein geheiztes Womo zurückgezogen und arbeitet wahrscheinlich an einer der drei Wodka-Flaschen, die Volker bei ihm hat stehen sehen. Wir beschließen, die rote Flasche morgen zurückzugeben, dreiviertelvoll wie sie ist, um zumindest das Pfand wieder zu kriegen. Das gibt es in diesem Land offenbar nur in dem Laden, in dem man die Flasche gekauft hat. Toni kommt vom Spielplatz. Alle haben jetzt Hunger, aber wir haben bloß dasselbe wie mittags: Fladenbrot mit Butter und einem kleinen Rest Käse. Toni quengelt: „Ich will was Warmes.“ Wenn das die Österreicherin hören würde.

Volker verstaut die Gasflasche und den Rest im Kofferraum während ich mit den Kindern esse. Meine Laune ist abgrundtief schlecht. Toni hampelt affektiert rum, Peppi spuckt Sachen wieder aus, ich schimpfe. Als Peppi einen Schluck Wasser aus ihrem Mund wieder in den Becher fließen lässt, lasse ich mein inneres Kind von der Leine und sage: „Gut, dann esse ich die Oliven jetzt alle allein. Ihr kriegt nichts.“ Toni: „Es gibt gar keine Oliven.“ Ich sage „doch“ und hole sie aus der Tasche. Ich knote die Tüte auf und schiebe mir eine nach der anderen in den Mund. Toni fängt an zu schreien. Dann streckt sie bettelnd die Hand aus. Peppi: „Liwe, Liwe!“ Es ist schrecklich. Aber ich komme aus der Nummer nicht mehr raus. Toni verkriecht sich weinend auf dem Vogelbett. Peppi schlägt sich beim Versuch, hinterher zu kommen, die Lippe an, weint fürchterlich auf, in dem Moment kommt Volker rein, panisch: „Sie blutet!“ Ich tupfe das Blut mit ihrer Strickjacke auf, nehme sie in den Arm, weine selbst. Die Verzweiflung fühlt sich besser an als der Krieg zuvor.

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