Ounagha, Camping des Oliviers

Volker setzt sich an den Tisch und stellt mit Lineal und Buntstiften perspektivische Zeichnungen von unseren Möbeln her. Es dauert den halben Vormittag, aber es ist nötig. Wir wollen einem Schreiner, der keine Pläne lesen kann, einen Großauftrag erteilen. Ali ist begeistert von den Zeichnungen und bittet mich, Volker vielmals zu danken. Es seien hervorragende Zeichnungen. Gemeinsam übertragen wir die Maße von den Plänen in die Zeichnungen. Wir haben gestern Abend nochmal gebrütet und manches vereinfacht, verzichten auf vier Schranktüren, wollen dafür weniger zahlen als Ali gestern gesagt hat, außerdem gibt es noch die offenen Fragen rund um den Lattenrost – Ali soll uns einen neuen bauen, und unsere beiden Qualitätsdinger mit verstellbaren Kopf- und Fußteilen in Zahlung nehmen – außerdem gibt es noch die Posten, die von anderen Gewerken (Metallbauer, Fliesenleger) erledigt werden...

Die Verhandlungen sind komplex, aber erfreulich. Ali geht mit dem Gesamtpreis etwa 10 Prozent runter, was einerseits für marokkanische Verhältnisse nicht viel ist, aber andererseits entsprechen die Ausgangspreise etwa 10 Prozent von dem, was wir in Deutschland gezahlt hätten. Wir einigen uns auf die runde Summe von 10.000 Dirham, Ali ist hocherfreut, und ich bin es auch. Erschöpft und glücklich sinke ich in Volkers Arme, es kommt uns so vor, als sei das Schwierigste am Umbau jetzt geschafft. Ali wird jetzt das Holz vorbereiten, in zehn Tagen sollen die Arbeiten im Düdo beginnen. Wir wollen trotzdem noch eine Nacht bleiben, um uns von den Strapazen der Auftragserteilung zu erholen.

Der Gärtner bringt uns eine Babyschildkröte. Wir setzen sie in die Tonschale, auf der wir die Tajine grillen. Sie versucht, raus zu klettern, rutscht aber immer wieder runter. Ich setze sie wieder ins Gras. Das Tier macht mir genauso viel Spaß wie Toni, aber mir tut es gleichzeitig leid, weil ich weiß, dass es der Schildkröte keinen Spaß macht.

Ich lese gerade „Das kleine Gespenst“ mit Toni auf dem Teppich auf der Wiese, da rollt der braune Düdo mit den zwei Beulen durchs Tor. Die Kinder, die wir auf dem letzten Campingplatz verpasst haben! Der langhaarige Hippie steigt aus, ich bin erfreut und freundlich, er ist es auch. Wovor hatte ich eigentlich Angst. Ich schlage ihm vor, sich neben uns zu stellen, das größere Kind – ein gleichfalls langhaariger Junge mit dem schönen Namen Pacific – ist schon am Start, das kleinere – ein vierjähriges Mädchen (Volltreffer!) namens Melodie – wacht bestimmt gleich auf, verspricht der Vater. Toni hüpft in Vorfreude schon auf und ab.

Melodie hat ein eigenes Zimmer, also einen eigenen Bettverschlag. Über ihrem Kopfkissen klebt ein verschlungener, rosa Schriftzug: „I am a little Princess“. Toni sitzt mit Tunnelblick in Melodies Zimmer und spielt mit deren Playmobil als wäre Melodie gar nicht da. Wenn sie etwas haben will, nimmt sie es Melodie einfach aus der Hand. Rund um den Mund hat sie lila Lippenstift, auf den Augendeckeln blauen Lidschatten. Als sie sieht, dass Melodies Mutter Oreo-Kekse verteilt, streckt sie die Hand aus und macht „Äh! Äh!“

Ich zweifle an unserem protestantisch verkniffenen Geiz in Sachen Süßigkeiten und Plastik. Denn der ist es ja, der solcherlei Verhalten hervorbringt. Also es ist ja nicht wirklich Geiz, sondern es ist unsere Überzeugung, dass die Welt an Plastik zugrunde gehen wird, und Süßigkeiten kein Kind glücklich machen. Außerdem sind wir mit dem Frauenbild nicht einverstanden, das Prinzessin Lillifee transportiert. Aber diese Überzeugungen lösen sich gerade in Nichts auf. Ich lasse mich so leicht neben die Spur bringen, wenn ich sehe, dass andere Leute Sachen anders machen, und deren Kinder offenbar auch ganz gut (besser?!) gedeihen. Ich nehme mir vor, dass Toni ab sofort auch mehr Süßigkeiten kriegen soll und mehr rosa Prinzessinnen-Zeug.

Wir essen mit den Franzosen zu Abend, draußen auf dem Plastikteppich, obwohl es wieder schweinkalt geworden ist, aber in keinem unserer Autos hätten wir alle Platz. Wir mögen die Leute, die Konversation ist angenehm und leicht, oder sie wäre es, wenn wir nicht gleichzeitig unsere übers Essen taumelnden Töchter im Dunkeln abspeisen müssten. Ali bringt uns, wie angekündigt, einen Topf marokkanischer Suppe, Harira, auf gute Zusammenarbeit. Die Harira schmeckt gut, aber ich komme über die leicht gallertartige Konsistenz nicht weg.

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