Palenzuela – Hondarribia

Das Refugium des Pescadores, in der Nacht erst auf der App und anschließend in Wirklichkeit gefunden, ist eine Wiese am Ufer eines Flüssleins, hohe Pappeln spenden Schatten, es ist hübsch, aber eben kein Embalse. Das Wasser plätschert lauschig, aber am Ufer sammelt sich weißer Schaum. Die helle Dorfkirche – natürlich mit Storchennest – liegt in unserem Rücken. Steinerne Picknicktische, hatten wir nicht neulich auch schon mal Tische und Bänke, wo war das? Wir sind in so einem Affenzahn unterwegs, dass die Tage schon wieder verschwimmen.

Den heißen Nachmittag wollen wir – der gestrige Tag dient als Vorlage – wieder an einem Embalse verplanschen. Es gibt in Spanien ja genügend davon. Hinter Vitoria-Gasteiz stehen zwei zur Auswahl, Volker lotst uns, in ungewohnter Rolle als Beifahrer, leider zu dem, der nicht auf unserer Strecke liegt. Ich schimpfe, hungrig und erschöpft von der langen Fahrt. Es sieht nicht mehr nach Spanien aus, sondern nach Schweiz. Waldige Hügel, alpenländische Häuschen mit saftig grün getrimmten Rasenflächen davor. Die lichten, trocken-gelben Korkeichenwälder, war das wirklich erst gestern? Kuhglocken. Und an den See ist kein Rankommen. Wald und Wiesen wuchern bis zum Ufer, ersterer ist für den Düdo nicht zu passieren, auf letzteren steht das Weidevieh.

Die Kinder krakeelen: „Wir wollen zum See!“ Wollen wir auch, aber wie? Wir folgen einem Waldweg, meinen an dessen Rande auf Google Earth eine Parkbucht mit Badestelle zu erahnen. Die Parkbucht ist mit einem Jeep besetzt, ein Schild mit einer finster dreinblickenden Riesenmuschel behauptet auf spanisch und baskisch, der See sei nur für Boote, Schwimmen verboten. Gefährliche Riesenmuscheln. Vermuten wir jedenfalls, wir können ja weder spanisch noch baskisch. Egal, wir können hier ja eh nicht bleiben, neben dem Jeep ist kein Platz. Auf der kleinen Lichtung am Wasser, die wir als Badestelle fehlinterpretiert hatten, liegt der nackte Jeepbesitzer.

Volker versucht, den Düdo zu wenden, auf dem Waldweg, der kaum breiter ist als der Düdo selbst. Der Motor säuft plötzlich ab, sobald Volker vom Gas geht. Das Problem kennen wir, das hatten wir schon auf einer der allerersten Etappen, damals vor fast einem Jahr die Nachtfahrt von Frankfurt nach Böblingen. Meine Mutter war noch am Leben. In Böblingen sprühte dann der junge Nachbar ein bisschen Öl auf den Gaszug und das Problem war behoben. Bin daher optimistisch, dass wir es diesmal selbst hinkriegen.

Auf dem Weg zum offiziellen Parkplatz am See, mitten in Legutio – wir nehmen jetzt, was wir kriegen – klaffen so dermaßen tiefe Schlaglöcher, dass wir es nicht wagen, nicht mit dem Standgas-Problem, das ja quasi kein Langsamfahren erlaubt. Wir halten zwischen den zwei möglichen Pisten, links und rechts rumpeln PKWs an uns vorbei, jeder zweite setzt scharrend auf. Ich öffne die Motorhaube, die beim Düdo ja eigentlich nicht die Motorhaube ist, denn der Motor liegt ja im Innenraum, zwischen Fahrer und Beifahrer.

Volker am Steuer wackelt an der Standgas-Schraube, ich erkenne, welches Kabel mitwackelt, das ist der Gaszug. Erst mal saubermachen, man erkennt vor lauter schwarzer Schmiere fast nichts. Düdo-Rotzi. Dann sprühe ich WD40 auf alles, was sich bewegen soll, Volker dreht die Schraube einmal ganz auf und dann ganz zu, und alsdann brummt der Motor wieder ruhig und ewig, auch im Leerlauf! Panne selbst behoben, ohne jede Einmischung von Außen! Sind alle euphorisiert von dieser Leistung. Wollen trotzdem auch nicht langsam über die Schlaglöcher, haben mittlerweile zu oft das scharrende Geräusch bei den anderen gehört, sondern parken lieber hundert Meter vorher, in einer Wohnstraße.

Nervennahrung für alle: China-Tüten-Suppe für Peppi, Tortellini für Toni, warmes Bier für uns. Als wir endlich zu Fuß gen See aufbrechen, hat es sich zugezogen, ist plötzlich richtig kühl geworden, niemand will mehr baden, sondern alle wollen lange Sachen anziehen. Ein parkähnliches Gelände zwischen Parkplatz und Ufer, Rasen unter hohen Bäumen, Grüppchen grillender Spanier, Picknicktische, Spielplatz. Vorbereitete Freizeitumgebung. Ich lasse den grobkörnigen Sand auf dem Spielplatz durch meine Finger gleiten, irgendwie taub. Es erscheint mir absolut abwegig, sein Leben an solchen Orten zu verbringen statt am Strand.

Toni will die hellblaue Trainingsjacke behalten, die ein Kind unter dem Klettergerüst vergessen hat. Ich sage, dass sie bei allen Grüppchen nachfragen muss, ob jemandem die Jacke gehört. Wenn nicht, dürfe sie sie behalten. Toni wendet ein, sie könne kein Spanisch. Ich: „Halte die Jacke einfach hoch, die Leute werden schon verstehen, was Du willst.“ Glaube nicht, dass sie es wirklich macht. Liege damit falsch. Die Jacke bleibt bei uns.

Die Straße, in der wir parken, könnte in Böblingen oder sonstwo liegen. Weltweit wünschen sich die Leute offenbar das Selbe: Nichtssagende, auf Gartengrundstücke gekleckste Einfamilienhäuser. Ratlosigkeit. Es nieselt jetzt. Viele Rolläden sind heruntergelassen, obwohl es überhaupt nicht mehr heiß ist. Trampoline auf Rasen, die dazu gehörigen Kinder aber wie immer unsichtbar. Wir wollen hier weg, sind aber ja auf dem Weg genau da hin.

Wir nehmen die mautpflichtige Autobahn nach Donostia-San Sebastián, wollen nicht das Risiko größerer Steigungen auf der Landstraße eingehen, schließlich geht es wieder über ein Gebirge, wir wissen nicht, welches. Sind das schon die Pyrenäen sind oder noch das Kantabrische Gebirge? Es ist diesig und regnet, es dämmert, es geht durch Tunnels, zwischen schroffen Felsen und flaschengrünen Nadelwäldern erscheinen Dörfer im Nebel. Die Gegend links und rechts der Autobahn ist kontinuierlich besiedelt, obwohl die Landschaft nach Einsamkeit und Almöhi aussieht. Viele Fabriken, Sägewerke, Holz gibt es hier wahrlich genug. Immer wieder mehrstöckige Wohnriegel in den Tälern. Wer bewohnt die bloß?

Das ist also das Baskenland. Hatte ich mir auch ganz anders vorgestellt. Kurioserweise geht es die allermeiste Zeit bergab, obwohl wir nie hochgefahren sind. Doch, gestern. Offenbar ist das gesamte nördliche spanische Landesinnere eine Hochebene, und wir waren zwei Tage lang auf der Höhe unterwegs, die der Düdo sich – war das wirklich erst gestern? – langsam hochgequält hat. Viel schneller als gedacht sind wir an der Küste, aber wir sehen es nur auf dem Navi, nicht draussen vor uns. Da sieht alles aus wie zuvor: Steile Berge, grüne Täler. Das Gebirge fällt hier offenbar ohne landschaftliche Vorankündigung ins Wasser. Bald sehen wir leider gar nichts mehr, weil es jetzt dunkel ist, aber soviel merken wir: Die Küstenstraße ist eine Gebirgsstraße.

Donostia-San Sebastián, in der Nacht leuchtender Siedlungsbrei inmitten der Berge, verrückt vielspurige Schnellstraßen, schlafwandlerisch glücklich findet Volker immer die richtige. Wir wollen auf einen Stellplatz von der App, hier ist alles so voll und bestimmt touristisch, dass es schwer sein dürfte, auf eigene Faust etwas zu finden. Müssen aufpassen, nicht aus Versehen schon nach Frankreich zu fahren, so nah liegt plötzlich alles beisammen. Noch sieben Kilometer bis zum angepeilten Parkplatz mit versprochen spektakulärer Sicht auf Meer und Berge.

Plötzlich geht es wieder in steilen Serpentinen hoch in die Pampa. Einmal kommt der Düdo fast nicht um die Kurve, Lenkrad und Gaspedal beide am Anschlag. Wir brauchen eine halbe Stunde für die sieben Kilometer. Nicht auszudenken, wie lange wir heute gebraucht hätten, wenn wir nicht die Autobahn genommen hätten. Oder doch auszudenken: Über den Atlas waren es drei Tage. Immer wieder fahren wir durch Nebelfelder, wahrscheinlich Wolken. Außer uns nur ein weißer VW-Bus auf dem Parkplatz. Schade, dass wir nichts mehr sehen, andererseits können wir uns auf die Überraschung morgen früh freuen, wo wir eigentlich gelandet sind. Herzhafte Bergluft. Volker fängt zwei sich begattende Glühwürmchen.

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