Quarteira – Portimão
Am Sonntag fahren wir wieder auf den Platz zwischen Palmwäldchen und Kletterhügel, an dem wir auf Hennings Ankunft gewartet haben. Jetzt machen wir uns hier für Hennings – und Katharinas – Abflug bereit. Ich zerkleinere die Pille, die wir damals, vor einem halben Jahr, in Almuñécar in der Tierklinik erstanden haben. Auch da war Henning ja dabei, ein Kreis schließt sich. Ich denke an die Sprechstundenhilfe mit den lila Haaren, die pantomimisch gezeigt hat, was die Pille mit der Katze machen wird.
Katharina macht sich über ihr mit gelben Pillen-Krümeln versetztes Feuchtfutter her. Nie haben wir so gespannt verfolgt, wie die Katze ihr Essen verschlingt. Henning, Toni, Peppi und ich, alle schauen so gebannt zu, dass wir schon fürchten, die Katze wird misstrauisch. Die große Frage steht im Raum: Wird die Pille wirken?
Sie wirkt. Nach dem letzten Bissen springt die Katze aufs Bett, als sie dann wieder runter hüpfen will, taumelt sie schon. Ich nehme sie auf den Schoß, sie ist ganz buttrig. Die Kinder kraulen sie ein letztes Mal am Bauch, das würde ohne Pille nicht so gefahrlos gehen. Es ist ein süßer, kuscheliger Abschied von unserem Kätzchen. Als wir sie in ihre neue Tasche stopfen, zeigt sich, dass die Pille sie nicht komplett ausgeknockt hat. Sie versucht, sich mit den Krallen abzustoßen, wo sie nur kann. Aber kaum ist sie drin, legt sie sich gemütlich hin. Die Tasche ist natürlich nicht so stabil wie der Plastikkäfig, aber der darf ja nicht in die Kabine. Wir hoffen, dass das Gitter aus gummiartigem, schwarzem Stoff Katharinas Krallen standhält. Wird es schon, die Tasche ist ja für Katzen gedacht. Alle Zeichen stehen auf einen entspannten Flug.
Henning schickt eine SMS: „Katze gut eingecheckt. Gut durch die Security gekommen. Katze immer noch tranquilo. Und nun: Flug hat anderthalb Stunden Verspätung.“ Wir schlucken, denn die Pille wirkt laut Aussage der lilahaarigen Sprechstundenhilfe acht Stunden. Diese Zeit hätte Henning von Düdotür zu Haustür gebraucht, ohne Verspätung. Wir wollen auf dem Parkplatz in Flughafennähe warten, bis die beiden losfliegen. Peppi sagt, dass sie traurig ist, weil Henning und Katharina wegfliegen. Toni sagt, dass sie auch traurig ist. Damals, als wir Katharina bei Imad abgegeben hatten, waren alle nur erleichtert, niemand war traurig. Jetzt ist der Abschied viel sentimentaler. Es ist, als wäre die Katze aufgeladen mit der großen Rettungsaktion, mit allen Abenteuern und Sorgen, die wir ihretwegen hatten, mit all den Beziehungen, die wir nur dank ihr eingegangen sind.
Henning schickt eine SMS: „Wir sitzen im Flugzeug. Sogar Business Class! Katze kurz aufgeregt, aber jetzt wieder ruhig. Ich auch. War schön bei Euch! Bis Bald!“ Wir pilgern zum Aussichtspunkt, um dem Flugzeug mit Henning und Katharina zuzuwinken. Toni und Volker kommen mit einem korpulenten deutschen Herrn ins Gespräch, Toni erklärt ihm in wenigen Worten die Situation: „In dem Flugzeug sitzt mein Patenonkel mit unserer Katze, die fliegen zu einer Oma, wegen Volkis Allergie, das ist die Oma von einer Freundin aus dem Kindergarten.“ Der Herr sucht unkomplizierteres Terrain: „Und ihr wart im Urlaub?“ Toni: „Wir machen eine große Reise.“ Der Herr: „Ihr wart schon in Marokko?“ Toni: „Ja, deshalb bin ich auch so braun.“
Wir essen zerkochte Kartoffeln mit Butter, dann brechen wir auf gen Westen, wollen morgen zu Satis Familie stoßen. 80 Kilometer Nachtfahrt. In Portimão steuern wir den Intermarché-Parkplatz an, es gibt hier laut App eine Versorgungsstation. Und tatsächlich: Das Schild mit den Wellen unter dem Wohnmobil ist da, das Loch im Boden auch, und Wasserhähne auch, wenn auch ohne Hahn. Es ist nach Mitternacht. Henning müsste gelandet sein.
Henning schickt eine SMS: „Die Hölle is noch nicht vorbei. Gelandet. Noch nicht zuhause.“ Wir fiebern Hennings Anruf entgegen, er kommt eine endlose Dreiviertelstunde später. Am Telefon bricht unser Katzenkurier fast zusammen vor Erschöpfung und Erleichterung. Die Katze ist in ihrem neuen Zuhause. Und Henning fix und fertig. Standleitung in die Berliner Nacht, in der er sich bei einem Späti ein Stärkungsbier besorgt.
Dann erzählt er: Just in dem Moment, nach dem er seine letzte optimistische SMS an uns abgesetzt hatte, fing die Katzentasche an zu wackeln. Das kam daher, dass die Katze einen Ausgang suchte. Als sie keinen fand, begann sie, sich einen zu schaffen. In Nullkommanix hatte sie ein Loch in das Netz gerissen und steckte ihren Kopf heraus. Nun weiß ja jedes Kind, dass eine Katze überall da durch passt, wo ihr Kopf durchpasst. Henning, panisch, bat die Stewardessen um Hilfe, fragte nach einem Not-Käfig oder K.O.-Tropfen. Die Stewardessen erkannten den Ernst der Lage nicht und fanden die Katze niedlich.
Henning versuchte, das Loch zuzuhalten, indes riss die Katze ein Neues. Henning bemühte die Hilfe der Schwerkraft, drehte die Katzentasche immer wieder um 180 Grad, um Katharina am Arbeiten an ihren Löchern zu hindern. Irgendwann rettete er sich mit der Katze auf dem Arm auf die Bordtoilette und schloss sich dort mit ihr ein. Die Gefahr, dass die Katze in der Kabine entkommen und sich irgendwo verkriechen würde, wo kein Mensch sie jemals wieder hervorlocken könnte, war vorläufig gebannt. Katharina erkundete das Örtchen, kackte auf den Boden, und legte sich dann zum Schlafen ins Waschbecken. Henning putzte die Kacke weg, kehrte zu seinem Platz zurück und fiel ebenfalls in einen erschöpften Schlaf. Die Stewardessen stellten hilfsbereit das Klozeichen auf Dauerbesetzt.
Doch viel zu bald weckten sie unseren tapferen Kurier: „We are landing in less than an hour, you have to take your cat.“ Der Katzenkampf ging weiter. Irgendwie schaffte Henning es, den Flug zu überstehen, ohne dass Katharina ihm entwischte. Irgendwie schaffte er es, das Tier in den Trümmern seiner Tasche über den Flughafen Tegel und ins Taxi zu schleppen. Irgendwie schaffte er es, Katharina bei Ursula in Prenzlauer Berg abzuliefern.
Ich hatte manchmal den Alptraum: Ich muss Katharina ohne Käfig irgendwohin bringen, in wahnsinniger Angst, dass sie mir jeden Moment wegläuft. Ausgerechnet für den armen Henning ist dieser Alptraum wahr geworden.
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