Rabat – Mohammedia

Wir setzen mit dem Ruderboot über nach Salé, das von Rabat nur durch den Fluss getrennt wird, wie Sindelfingen von Böblingen durch die Autobahn. Volker fragt einen an der Fährstation Wartenden nach dem Preis, 2,5 Dirham, das sind 25 Cent pro Person, das können wir uns leisten. Wir müssen Lebensmittel einkaufen, das soll hier günstig und authentisch möglich sein. Stimmt. Wir sehen Schaf- und Kuhköpfe, Schaf- und Kuhfüße, Innereien liegen ausgebreitet in der Sonne, Kutteln, Fische werden auf dem Boden ausgenommen, magere Straßenkätzchen kriegen Köpfe und Schwänze hingeworfen, lebendige Hühner liegen da wie tot, mit zusammengebundenen Füßen – irgendetwas hindert uns, den Einkauf zu starten, obwohl uns ja keiner zwingt, gleich einen Kuhkopf zu kaufen, wir könnten ja mit ein paar Äpfeln anfangen.

Mitten im Gedränge Männer stark und abgearbeitet wie Lastgäule, die mit beiden Armen zweirädrige Karren hinter sich herzerren. Einmal stehen wir im Weg, der Karrenzieher macht verächtlich „Ksch“ und wedelt uns weg wie Fliegen. In der Geste liegt all das, was ich am Reisen in armen Ländern hasse. Ich pflichte ihm insgeheim bei, was wollen wir hier eigentlich.

Bananen kaufen. Ich verlange ein Kilo, der Verkäufer nimmt einen Bund, legt ihn in die Schale seiner mechanischen Obstwaage, ein Kilo-Gewicht in die andere Schale, und will mit dem Messer ein paar überzählige Bananen abschneiden. Ich sage: „Stimmt so“, dann wird mir erst klar, dass das, was in Europa den Kaufvorgang beschleunigt, hier das Gegenteil bewirkt. Jetzt muss er mühsam mit kleineren Gewichten ermitteln, wie schwer mein Bund ist.

Köstliche, vor Honig oder Zucker triefende frittierte Süßigkeiten, die wir seitdem nirgends sonst gefunden haben. Wir kaufen erst ein Stück zum probieren, dann eine ganze Tüte voll. Frischgepresster Orangensaft für 2 Dirham. Datteln. Einen Plastikmülleimer mit Deckel für den Düdo.

Ich habe Toni versprochen, dass sie sich was kaufen darf, habe an Touri-Kitsch wie ein kleines Portemonnaie oder so was gedacht, was es gestern in Rabat gab. Hier aber nicht. Nur Stände mit den allerscheußlichsten Plastikpuppen, mit denen ich erstens nicht gemeinsam in einem Raum schlafen möchte und die zweitens so billig aussehen, dass ich jeden Dirham dafür zu teuer finde. Toni tobt, weil ich keine kaufe. Zum Glück kommen wir an einem riesigen Haufen Hello-Kitty-Haarreifen vorbei. Toni sucht sich einen aus, der Verkäufer sagt, dass sie nur 2 Dirham kosten. Ich nehme zwei, für Peppi auch einen, gebe ihm 4 Dirham, wir gehen weiter. Er kommt mir hinterher, ich befürchte das nächste Problem, habe ich es falsch verstanden, will er doch mehr? Nein, er will mir 2 Dirham wieder geben, denkt, ich hätte ihn falsch verstanden, er hat nicht gesehen, dass ich zwei genommen habe. Ich zeige es ihm, beiderseitiges Lächeln, Handklopfer aufs Herz, weiter geht’s. Ich bitte Volker, sich auch solche Erlebnisse zu merken, nicht nur die anderen.

Am Ortseingang gab es einen Spielplatz, da gehe ich mit den Kindern hin, Volker ist nochmal zurückgegangen, den Plastikmülleimer umtauschen, der hat nämlich einen kaputten Boden. Ich setze mich auf eine Bank, eine alte Frau kommt auf mich zu, breitet ein Tuch neben mir aus, klopft darauf, ich schüttele den Kopf, denke sie will mir etwas verkaufen. Sie setzt sich neben mich, auf das Tuch, klopft noch einmal, mein rechter, rechter Platz ist frei. Da verstehe ich erst: Sie lädt mich ein, mich zu ihr auf das Tuch zu setzen, damit ich nicht auf der kalten Steinbank sitzen muss.

Ich schäme mich für meine reflexhafte Abwehr, aber ich möchte nicht so nah neben ihr auf dem Tuch sitzen, ich will einfach nicht. Fühle mich unwohl dabei, weiß aber, dass ich mich auf dem Tuch sitzend grauenhaft unwohl fühlen würde. Ich lächle sie an und versuche, ein Gespräch zu beginnen, um Wertschätzung und Achtung zu zeigen. Sie spricht kaum französisch. Schenkt erst Peppi eine Mandarine, dann Toni und mir.

Plötzlich gestikuliert die Frau, dreht die Handflächen erst nach oben, dann nach unten, guckt fragend. Die Geste ist mir nicht geläufig. Sie zeigt auf Peppi, schaut sich suchend um. Ich verstehe: Sie sieht Toni nicht mehr. Ich zeige ihr, wo sie ist: Sie hat sich ein ganzes Stück von uns entfernt, hat Kontakt zu einheimischen Kindern aufgenommen, die mit einer Art Rollkoffer spielen. Ich danke der Frau für ihre Umsicht und Sorge. Toni will den Rollkoffer auch mal haben, und tatsächlich, das kleine Mädchen gibt ihn ihr. Das größere Mädchen nimmt ihn ihr aber gleich wieder ab, sie gehen nämlich weiter. Toni kommt aufgeregt und erfüllt von der Begegnung zurück.

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