Sanlúcar de Barrameda – Sevilla

Der Verkehr in Sevilla ist weniger schlimm als erwartet. Sonntag. Die Straße, durch die uns das Navi zum Parkplatz lotsen will, ist gesperrt. Beim dritten Versuch schaffen wir es von der anderen Richtung aus. Überall diese irre lila blühenden Bäume. Der Parkwächter sagt, dass wir über Nacht bleiben könnten, er würde Tag und Nacht wachen, fünf Euro. In der App stand, es sei unbewacht und würde einen Euro kosten, aber egal. Er kommt zum Düdo zum kassieren, einen Parkschein gibt es nicht. Als wir vom Parkplatz schlendern, ist der Typ nicht da.

Der erste Spielplatzbesuch seit wir wieder in Europa sind. Es ist heiß, aber es ist eine herrlich gemäßigte, trockene, südeuropäische Hitze. Als würde sogar die Luft in Europa es den Menschen leichter machen als in Afrika. Wir gammeln lange auf einer Bank im Schatten herum, genießen den Park, die weißen Tauben, die grünen Papageien, den Anblick von Menschen, die so ähnlich aussehen wie wir. Ich lege mich mit dem Kopf auf Volkers Schoß, strecke die Beine auf der Bank aus, obwohl ich ein kurzes Kleid anhabe. Wäre in Marokko nicht gegangen, oder hätte ich jedenfalls nicht gemacht.

Und dann die Altstadt. In den engen Gässchen ist es angenehm kühl; in den Innenhöfen der Häuser gibt es offenbar herrliche Gärten, man kann sie durch geöffnete Eingangstüren und Fenster sehen; unversehens steht man auf kleinen Plätzen, auf denen Leute in Straßencafés sitzen und Bier trinken. Wir sind betört. Ziehen die Kinder im Bollerwagen immer weiter, erkaufen uns diesen Moment ruhigen Flanierens mit dem Versprechen auf ein Eis. Lassen aber Eisdiele um Eisdiele links liegen, wollen uns selbst auch an einen Tisch setzen und ein Bier bestellen, hoffen, dass wir beides verbinden können.

Sind besessen von einer wunderschönen Vorstellung: Wir sitzen auf Stühlen mit Lehne, trinken ein eiskaltes Bier, während die Kinder zufrieden mit einem Eis auf einem jener hübschen, autofreien Plätze herumlaufen, wir bestellen ein zweites Bier. Dass wir diese Vorstellung in wenigen Momenten wahr werden lassen können, macht uns schon wie beschwipst.

In einem Schaufenster gibt es Neugeborenen-Zubehör. Wolljäckchen, Mützchen, winzige Schühchen. Alles in weiß, ganz sacht andalusisch angehaucht. Will sofort noch ein Baby kriegen. Dabei weiß ich mit jeder Faser meines Körpers, dass der Alltag mit einem Neugeborenen nichts, aber auch gar nichts mit dem watteweißen Traum zu tun hat, den mir das Schaufenster verkaufen will.

In Marokko waren Läden ja einfach Räume, in denen die Sachen herumlagen, die man dort kaufen konnte. Hier ist alles inszeniert. Plötzlich gibt es auch wieder Mode. Werbung. Wenn es keine Mode gibt, fällt ja viel weg an Werbung. Die weitaus meisten Frauen in Marokko trugen entweder ihre Gewänder oder diese großzügig gemusterten Hausanzüge aus Plüsch, die es in identischer Ausführung auf den Märkten zu kaufen gab. Sogar die standen den Leuten.

Bei näherem Hinsehen entpuppen sich die Straßencafés als Tourifallen mit Wahnsinnspreisen. Wir versuchen, den touristischen Hotspot „Altstadt“ zu verlassen und ins authentische Sevilla vorzustoßen, an das ich mich von meinem Aufenthalt vor fünf Jahren hier erinnere. Wir kommen auf die großen Plätze, an die ich mich erinnere, aber hier gibt es keine Bars. Nur Fastfood-Ketten und Läden. Wir kaufen den Kindern endlich ihr Eis. Wir laufen weiter, sind jetzt sehr hungrig und mir tun die Beine weh vom vielen Laufen. Die Kinder haben ihr Eis aufgegessen und kein Bock mehr.

Wir landen in einer Tourifalle, in der wir unter anderem drei Euro für sechs fünfmarkstückgroße Scheibchen Chorizo zahlen. Ich würde am liebsten die Zeche prellen, aber Volker gibt zu bedenken, dass wir mit dem Bollerwagen leicht zu verfolgen und zu identifizieren sind. Toni pullert ein. Wir versuchen, einen Rest von unserer Vorstellung zu retten, indem wir noch ein Bier in der Bar direkt neben unserem Parkplatz trinken, aber die hat schon zu.

Kein Wächter auf dem Parkplatz. Von zwei älteren Hamburger Lesbierinnen, die gerade zu ihrem ziemlich verlotterten Wohnmobil zurückkehren, das offenbar schon länger hier steht, erfahren wir, dass der Parkplatz eigentlich kostenlos ist. Wir haben einfach irgendeinem Typen fünf Euro geschenkt! Der Düdo steht noch, keiner ist eingebrochen, andere Parkplätze wären genauso teuer gewesen. Trotzdem muss ich anmerken: In fünf Monaten Marokko ist uns so was kein einziges Mal passiert! Die Wegelagerer, die wir bezahlt haben, haben immer brav gewacht. Wo man uns so verarscht hat, wollen wir nicht übernachten. Außerdem erzählen die Hamburgerinnen, dass werktags ab früh um sechs alles vollgeparkt werde, wir müssten eh umparken, um morgen wieder hier rauszukommen. Bei Einbruch der Dunkelheit rollen wir vom Parkplatz.

Den ersten Decathlon, den das Navi behauptet, gibt es nicht. Den zweiten glücklicherweise schon. Es ist Mitternacht, als wir unsere endgültige Parkposition einnehmen.

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