Strand hinter Tarifa – Rota

Wir brechen für unsere Verhältnisse früh auf, vor Mittag. Volker gibt beim Campingplatz in Valdevaqueros den Schlüssel vom Kinderbadezimmer zurück, den wir vor fünf Monaten aus Versehen eingesteckt haben. Ich hätte ihn längst weggeschmissen, aber Volker war beseelt von der Idee, ihn eines Tages dem gerührten Campingplatz-Patron zu überreichen. Er ist etwas enttäuscht, dass es nicht ganz so feierlich abläuft. Der Chef ist nicht da, seine Vertretung hängt den Schlüssel kommentarlos zurück an seinen Haken. Auch in Spanien blüht alles links und rechts der Straße. Windräder, riesige Felder. Viele Autos. Und wie schnell sie fahren.

Vor uns fährt ein LKW, der aussieht wie der von den ersten Franzosen, die wir kennengelernt haben, damals in Màlaga, die Familie mit Louise und Mathilde. Aber wenn sie es wären, müssten sie uns doch längst im Rückspiegel erkannt haben, müssten doch anhalten und hupen oder irgendwas, oder? Als ich „CH“ auf dem Kennzeichen lese, gibt mein Hirn einen Fetzen Erinnerung preis: Volker hielt die Leute deshalb erst für Schweizer, aber das „CH“ war nicht die Länder-Kennung, sondern einfach Buchstaben auf dem französischen Kennzeichen. Sie müssen es sein. Volker gibt Gas, setzt an zu überholen, sie sind es. Ich winke aufgeregt, sie winken souverän zurück, sehen nicht überrascht aus, wissen also bestimmt schon lange, dass wir hinter ihnen sind.

Jetzt sind wir vor ihnen, Volker will beim nächsten Rastplatz rausfahren, dann können sie ja hinter uns her, oder eben nicht. Aber es kommt kein Rastplatz. Sie fahren an uns vorbei, Elodie hält eine Schultafel ans Fenster, auf die sie mit abwaschbarem Marker „Cadiz?“ geschrieben hat. Ohne zu überlegen, recke ich den Daumen in die Luft. Wir hoffen, dass sie nicht wirklich nach Cadiz in die Stadt reinwollen, aber jetzt müssen wir hinterher. Wir wollten eigentlich zu irgendeinem Baumarkt in Sichtweite der Schnellstraße, und danach einen Schlafplatz an der Küste hinter Cadiz suchen. Als mir klar wird, dass wir gerade im Begriff sind, unsere eigenen Pläne in den Wind zu schießen, und statt dessen anderen Leuten hinterher fahren, die nicht mal wegen uns gebremst haben, kriege ich wahnsinnig schlechte Laune.

Schon klar, gibt tausend Erklärungen, warum sie nicht gebremst haben. Kennen wir doch selber. Komme trotzdem nicht runter von meinem Trip. Volker betont den total irren Zufall, dass wir uns, ein halbes Jahr nach dem schönen Abend auf dem Carrefour-Parkplatz, mit John dem Jongleur, plötzlich unversehens hintereinander wieder finden, auf einer von tausend möglichen Straßen Spaniens, in einer von tausend möglichen Stunden. Um diesen Zufall zu feiern könnten wir doch einen Umweg in Kauf nehmen.  

Sie fahren wirklich in die Stadt rein. An einer Bushaltestelle bremst Laurent, steigt aus, ich steige auch aus, wir umarmen uns, „Wart ihr wirklich im Senegal?“ Ja, waren sie. Und haben kein Ziel in Cadiz, sondern sind einfach mal rein gefahren. Warum, um alles in der Welt??? Hinter uns hupt ein Linienbus. Laurent springt wieder in sein Auto, ich in meins, schlauer bin ich nicht, nur noch knurriger. Gegen den Senegal verblassen unsere fünf Monate Marokko zum Kuraufenthalt.

Cadiz ist schön! Liegt direkt am türkisblauen Meer. Wir quetschen uns durch enge Gässchen, ein Wunder, dass der Düdo durchpasst, keine Ahnung wie Laurent ihren viel breiteren LKW da durchkriegt. Nirgendwo ein Parkplatz. Sogar wo auf unserer Karte einer eingezeichnet ist, ist keiner mehr. Volker springt aus dem Düdo und wechselt ein paar Worte mit Elodie und Laurent. Dann zieht jeder seiner eigenen Wege.  

Kaufe im Lidl Hotdog-Zutaten und Bier, um die Stimmung zu retten, die tief, tief im Keller ist. Die Kinder wollen die Würstchen pur und kalt. Stundenlanger Großeinkauf im Leroy Merlin, ellenlange Baumarkt-Liste abarbeiten. Fugendichtmasse für die Kacheln um unser Waschbecken. Alis Kollege, der Fliesenleger, hat die ja einfach mit Silikon auf die Holzplatte gepappt und die Zwischenräume mit Gips verspachtelt. Der Gips hat sich völlig dematerialisiert, nur hie und da erinnert ein weißes Körnchen daran, dass da mal was war. Toni langweilt sich mit mir im Baumarkt, hält es aber lange aus. Im Media Markt nebenan bunte Kopfhörer für beide Kinder. Eine Maßnahme zur Erhöhung der Anzahl unserer maximalen Tageskilometer.

Als alles geschafft ist – inklusive Kopfhörerumtausch – ist es Abend. Wir setzen die Kinder bettfertig in die Kindersitze, beide schlafen, bevor die Sonne untergegangen ist. Saftige Farben auf spanischer Gewerbelandschaft. Überlegen kurz, die Chance zu nutzen und bis Sevilla durchzuheizen, sind aber selbst zu fertig.

Der öffentliche Stellplatz liegt neben einem Rummelplatz. Sogar Volker ist es zu laut. Neben uns tankt ein klappriges Wohnmobil mit drei jungen, spanischen Partypeoplen Wasser. Ein halbwüchsiger Hundewelpe nach dem anderen purzelt aus dem Fahrzeug, die haben bestimmt einen ganzen Wurf in Marokko gerettet. Wir füllen unsere zwölf 5-Liter-Plastikflaschen und fahren weiter, im Dunkeln, irgendwie findet Volker intuitiv – geradeaus, links, links – nach ein paar Kilometern genau was wir suchen, einen verlassenen Parkplatz in unmittelbarer Strandnähe.

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