Taghazout – Aourir

Wir schicken die Mails raus. Es gibt keinen Moment, das sacken zu lassen, die Aufregung darüber vermischt sich mit der Aufregung über die unmittelbar bevorstehende Katzenrettung. Trotzdem: Einen Haken an Baustelle 2, wir kommen voran, unbestreitbar. Mir ist richtig schlecht vor Aufregung.

Ich bitte Toni, mich zum Hostel zu begleiten. Haben uns doch entschieden, zuerst zum Hostel und dann zu Imads Eltern zu fahren, erschien uns höflicher. Außerdem müssen wir dann nicht mit Katze womöglich ewig auf dem heißen Parkplatz am Fuße des Hügels von Taghazout ausharren. Zum wievielten Mal stapfen wir die steile Gasse hoch zum „Sunside Surf House“? Wie immer schleichen dürre Katzen an den Häusern entlang, und auf den Stufen stellt sich uns ein Mädchen spaßeshalber in den Weg. Wir gehen schnell vorbei, es ist die Gasse der übergriffigen Kinder, als wir das erste Mal hier hoch sind, haben ein paar Jungs nach Toni gehauen.

Karim öffnet uns, freut sich offenbar uns zu sehen. Ein gutes Zeichen. Imad ist nicht da, ist in Brasilien, sagt Karim. Ich sage, was wir wollen. Die Katze und ihren Pass. Das ist der Moment, vor dem ich Angst hatte, weil ich schlechte Nachrichten befürchtete: Katze weg, Pass, welcher Pass? So was in der Art. Nichts davon. Der Pass ist in einer Schublade im Schreibtisch in dem Zimmer, in dem bei unserem ersten Besuch noch Schuhe hergestellt wurden. Mittlerweile ist es die Rezeption. Die Katze ist nach wie vor bei den Eltern. Wir sollten ab jetzt Karims Eltern sagen, und nicht mehr Imads Eltern, denn wir haben ja nur noch mit Karim zu tun.  

In der Lounge vom Hostel läuft ein Film mit Leonardo di Caprio und Jack Nicholson. Fernseher, gab es letztes Mal auch noch nicht. Toni pflanzt sich sofort davor. Ich hole sie weg, als ich höre, dass auf dem Bildschirm brutal zugeschlagen wird. Toni ist in der Tat ziemlich verstört, hat so was noch nie gesehen. Wir muten unseren Kindern ganz schön was zu, dadurch dass wir sie überallhin mitschleppen.

Als wir das Haus von Karims Eltern betreten, huscht Katharina vorbei und versteckt sich in dem kleinen Kabuff links hinter einem Schrank. Alles ist frisch gestrichen, es riecht unglaublich intensiv nach Lösungsmittel. Die Fortschritte der letzten fünf Wochen im Innenausbau hier sind mindestens so groß wie die im Düdo. Die Eltern zeigen stolz alle Zimmer. Überall gibt es Deckenfluter, für die eine komplizierte Holzvertäfelung in den Putz eingefügt wurde. Die Wände sind mit glänzendem Lack in hellgrün und rosa versiegelt. Ich versuche, ganz flach zu atmen, um keine Kopfschmerzen von dem Geruch zu kriegen. Bin froh, dass Peppi noch im Düdo liegt und schläft.

Toni will nicht ins Wohnzimmer, weil da auch ein Fernseher läuft. Erste Anzeichen von Medienkompetenz. Wir müssen trotzdem rein, denn dort wird jetzt, wie beim letzten Mal, Amlou, Honig und Tee serviert. „Katharina, Katharina“ seufzt die Mutter und streift ihren Schleier ab. Sie hat schöne, schwarze, lockige Haare. Dafür, dass sie erwachsene Kinder hat, sieht sie jung aus, aber geschwitzt und irgendwie erschöpft.

Wir hocken auf der neuen Sofalandschaft, die sich wie ein U in den fensterlosen Raum schmiegt. Wo das U offen ist, hängt ein Fernseher oben an der Wand. Der Vater trägt Katharina ins Zimmer, setzt sich mit ihr auf einen Stuhl mit dem Rücken zum Fernseher und klopft ihr den Rücken. Er taucht ein Stück Brot ins Amlou (das ist Mandelmus mit Honig) und lässt die Katze daran lecken. Ich glaube, er will mir zeigen, dass es ihr hier gut ging. Sie wirkt auch etwas fitter als vor fünf Wochen. Und sie bleibt auf dem Schoß vom Vater sitzen, nicht begeistert, aber irgendwie ergeben. Ich habe den Eindruck, dass eine wie auch immer geartete Verbindung zwischen den beiden besteht. „Katharina, Katharina“, sagt die Mutter noch einmal und bedeutet mir gestisch, dass der Vater und die Katze ein Herz und eine Seele waren. Sie tupft sich eine Träne von der Wimper. Oder bloß ein Schweißtröpfchen?

Ich trage Katharina im Katzenkäfig in den Düdo. Toni ist allein im Haus geblieben und spielt auf dem Handy von Hana ein Spiel, bei dem man eine Prinzessin mit riesigen grünen Augen pflegen muss. Ich schicke Volker mit Peppi hoch. Alle haben nach ihnen gefragt, sie müssen unbedingt hin und hallo sagen. Ich sage, dass ich gleich nachkomme, will noch einen Moment bei Katharina sein.  Habe noch gar nicht realisiert, wie gut alles gelaufen ist.

Katharina wirkt deutlich aktiver als vor fünf Wochen, sie schnuppert gleich im Düdo herum und springt auf unsere neue Spüle. Ich lasse Wasser ins Waschbecken laufen, sie trinkt gierig. Die kahle Stelle an ihrem Näschen, die mir schon vorher aufgefallen war, ist sogar blutig. Hatte ich in dem dunklen Wohnzimmer gar nicht gesehen. Aber abgesehen davon sieht Katharina erstaunlich gut aus, ihr Fell ist sauber, sie scheint mir sogar etwas weniger dick.

Hana gibt mir ein Tütchen, in dem ein Armreif mit einem grünen Herz ist. Ein Geschenk für mich. Wie konnten wir nur so schlecht vorbereitet hier auftauchen. Wir hätten natürlich auch Geschenke mitbringen müssen. Zum Glück fällt mir das Tablett aus dem Carrefour in Málaga ein. Da ist sogar eine Katze drauf. Und mein Tarnmantel aus Almuñécar. Der sollte ohnehin in Marokko bleiben.

Die Mutter freut sich über das Tablett, lacht, zeigt auf die dicke Katze und sagt „Katharina“. Ja, genau, eine Erinnerung. Es ist so schade, dass wir mit den Leuten kaum reden können. Habe diesmal den Eindruck, dass selbst Karim höchstens zehn Prozent von dem versteht, was wir sagen wollen. Die Stimmung ist herzlich und warm. Wenn wir jemals wieder nach Marokko kommen sollten, bedeutet uns der Vater, seien wir in ihrem Haus so willkommen als wäre es unseres. Sie lehnen das Geld ab, das Volker ihnen anbietet. Wahrscheinlich hätten sie sich wirklich noch jahrelang um unsere Katze gekümmert, aus reiner Hilfsbereitschaft. Der Vater hat mit Katharina auf dem Mofa kleine Ausflüge ans Meer unternommen. Wir denken erst, wir hätten es nicht richtig verstanden, aber sie erzählen es zweimal, es ist eigentlich unmissverständlich. Katharina saß auf dem Mofa vom Vater und sie sind ans Meer gefahren. Zu schade, dass Katharina uns nicht erzählen kann, was sie alles erlebt hat.



Volker hat schon in Taghazout eine von den Anti-Histamin-Tabletten genommen, die Hanna im Dezember mit aus Deutschland gebracht hat. Diesmal scheinen sie zu wirken. Obwohl schon als wir losfahren unzählige Katzenhaare im Düdo schweben, kriegt Volker weder Hustenattacke noch Niesanfall, nicht mal Schnupfen. Es ist, als wären wir in einer Parallelwelt, in der alles wieder gut ist. Wir brettern nach Agadir.

Müssen zum Marjane, Katzenstreu und Feuchtfutter kaufen. Katharina ist wieder bei uns. Hätten wir uns vor ein paar Wochen noch nicht träumen lassen. Sie lebt, sie ist gesund, sie scheint noch die Alte! Wir sind wahnsinnig froh. Genauso froh wie wir waren, als wir sie abgegeben hatten. Irgendwie fühlen wir uns erst jetzt wieder vollständig. Die Rettung ist geglückt, unser Kätzchen wieder bei uns. Ich kann es kaum fassen.

Wir sind erschöpft, unsere Besuche bei Marokkanischen Familien sind immer wahnsinnig anstrengend. Das Radebrechen; die Suche nach Gesprächsthemen; der Fernseher, gegen den man anreden muss; diesmal noch der Geruch von der frischen Wandfarbe, der uns irgendwie benebelt hat.

Im Marjane sehe ich die Chefin vom Camping Terre d’Océan. Es gibt hier alles, wie in einem französischen oder spanischen Carrefour. Kaufe erstmal nur Katzenstreu und Eis, zur Stärkung der Moral. Dann eine zweite Runde für die Lebensmittel.

Die Wächter auf dem Parkplatz hinter der Strandpromenade haben gesagt, wir könnten über Nacht bleiben, aber als wir beim Abendessen sitzen – Sprite und Fanta zur Feier des Tages – klopft die Polizei an die Scheibe. Wir müssen weg. Außerhalb vom Campingplatz übernachten sei in Agadir verboten, weil zu gefährlich. Sie sind aber sehr freundlich, wir dürfen noch zu Ende essen. Katharina lässt sich von Toni sogar schon bürsten. Es ist, als könnte man ihr dabei zuschauen, wie sie sich von den Strapazen der letzten Wochen erholt.

Der Campingplatz hat schon zu. Nur der Nachtwächter ist da, will uns das Tor aber nicht aufmachen, weil die Rezeption nicht mehr besetzt sei. „Demain, Inshallah.“ Morgen, Du Keks, brauchen wir keinen Campingplatz mehr, morgen gehen wir zur Tierärztin und verschwinden danach über alle Berge. Die Polizisten, die vor dem Campingplatz Wache halten, zucken die Schultern, als ich frage, wo man um diese Zeit denn hin kann. Die Kinder schlafen, es ist weit nach zehn.

Wir gurken aus der Stadt raus, auf der Suche nach irgendeinem Stück Natur oder Brachfläche zum Übernachten. Gegenüber vom Gaswerk geht eine Piste ab auf Ödland. Leider sieht man uns von der großen Straße aus, aber halb hinter einem Schuttberg verborgen fühlen wir uns halbwegs sicher. Wir wanken erschöpft um den Düdo herum, blicken auf die Lichter des Fischereihafens, rauchen eine Zigarette, es geht fast nicht wegen dem starken Wind. Wir sinken uns in die Arme, es ist vollbracht. Wir sind todmüde, aber zu aufgekratzt um zu schlafen, wollen noch Mails checken, obwohl es nach Mitternacht ist.

Es klopft: „La Police!“ Ich ziehe mir Volkers Jacke über, finde meine Schuhe nicht, steige barfuß raus zu den Polizisten. Sie sind zu viert, und sie sind aufgebracht. Es ist wie im Krimi, der Chef ist der dickste, größte, und trägt Zivil. Der Kriminalkommissar. Ich erkläre, dass der Campingplatz uns nicht mehr reingelassen hat, frage auch ihn: Wo können wir hin um diese Zeit? Nicht hierhin, sagt sinngemäß einer von denen in Uniform, stellt Euch doch irgendwohin in Agadir. Der dicke Chef holt theatralisch aus, schlägt ihm in Bud-Spencer-Manier mit der flachen Hand auf den Nacken und zischt ihn an, natürlich auf arabisch, aber ich kann mir denken, was er sagt: „Du Idiot, da können sie auch nicht stehen.“ Der in Uniform will sich wieder in ein gutes Licht rücken, raunzt mich dienstbeflissen an: „Demarrez, Madame, vite.“ Ich sage oui und steige wieder ein.

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