Taghazout, Camping Terre d’Océan

Wir schaffen es auch am nächsten Tag nicht. Die Kinder singen das Lied, das Volker in Ounagha umgedichtet hat: „Hey, Ali Zimmermann, wann ist es soweit.“ Fragen wir uns auch. Nur, dass wir es diesmal selber höchstpersönlich sind, die nicht fertig werden.

Wir sind fast die Einzigen auf dem Campingplatz, haben alles für uns allein, sehr angenehm. Die Überwinterer-Saison ist vorbei, nur wir schaffen es irgendwie nicht wieder raus aus dem Land. Schon fast sieben Wochen her, dass wir aus Frankfurt zurück sind. Alles wegen der Baustellen. Baustelle 1: Düdo-Umbau. Baustelle 2: Blog-Launch. Baustelle 3: Katzen-Rettung.

Seit zehn Tagen dreht sich alles um Baustelle 2. Unser kleines Reisetagebuch hat vollkommen groteske Ausmaße angenommen, aber jetzt rollt der Zug, Abspringen unmöglich. Wir hoffen, dass es weniger Arbeit ist, wenn erst einmal die Vergangenheit online ist.

Und dann dürfen wir uns nie wieder die Gegenwart davon galoppieren lassen. Das Verrückte an unserer selbst eingebrockten Aufgabe, diesem anmaßenden Mammutprojekt „heutehier“ ist ja, dass es nicht einfach eine Aufgabe ist, für die man sich Zeit – meinetwegen auch viel – freischaufeln müsste, und dann wäre sie geschafft. Sondern mit jedem Tag, der vergeht, und möge er mit der Arbeit an der Aufgabe vergehen, vergrößert sich die Aufgabe. Jeder Tag, den wir länger brauchen, muss seinerseits kartographiert werden, in Text und Bild. Und der normale Reise-Alltag macht ja nicht Pause, nur weil wir mit dem Tagebuch aufholen müssen.

Wir haben nach wie vor 24 Stunden am Tag ein Vierjähriges und ein Zweijähriges um uns, wir brauchen nach wie vor drei Mahlzeiten am Tag und sind in einem Land, in dem es weder Käse noch Wurst noch Zwergenwiese-Brotaufstriche zu kaufen gibt, das heißt, dass wir zweimal am Tag kochen müssen. Wir brauchen alle drei Tage frisches Brauchwasser und alle fünf Tage einen Großeinkauf samt Trinkwasser. Jeden zweiten Tag müssen wir Frischware wie Obst, Butter und Joghurt kaufen, denn wir haben keinen Kühlschrank. Wir müssen täglich das Klo auskippen und alle 600 Kilometer tanken. Wir müssen einen 35-jährigen Mercedes-Transporter warten. Wir müssen die Sachen von vier Personen auf 13 Quadratmetern so verstauen, dass sie uns während der Fahrt nicht um die Ohren fliegen. Außerdem und vor allem Anderen müssen wir natürlich die schönen Orte erkunden und genießen, an die uns unsere Reise schwemmt.

Endlich erlebe ich sie, die Unerfüllbarkeit meines alten Wunsches, alles aufzuschreiben, alles. Einen schriftlichen Abdruck vom Leben zu produzieren, zum nachlesen, damit sie mir nicht durch die Finger rinnt, die Zeit. Theoretisch war mir immer klar, dass das ein utopischer Wunsch ist, denn Beschreibung ist per se unerschöpflich, nie fertig, weil sie in der Zeit stattfindet, nicht außerhalb. Aber jetzt ist es nicht mehr theoretisch, sondern tätig: Das Leben schreitet fort, ich haste auf der Tastatur hinterher. Aber man hat sich Sisyphos bekanntlich als glücklichen Menschen vorzustellen.

Morgen holen wir die Katze. Hoffentlich lebt sie noch. Baustelle 3.

Zurück