Taliouine – Taroudannt

Das Campingplatz-Wifi funktioniert, im Gegensatz zu gestern Abend, wir wollen endlich die Flüge buchen. Sie sind gerade einigermaßen günstig. Welch frohes Zusammentreffen zweier notwendiger Faktoren. Dritter Faktor, auch erfüllt: Henning am anderen Ende der Welt hält seine Tan-Nummern parat, unsere eigenen Kreditkarten funktionieren nicht. (Die von der DKB nicht, weil sie angeblich nicht „verified by Visa“ ist – man wird auf eine Seite weitergeleitet, auf der ein Passwort verlangt wird, von dessen Existenz ich nichts weiß. Die Neubeantragung des Passworts dauert zwei Tage, bzw. es wird ein Registrierungscode auf dem Kontoauszug angezeigt. Die von der Ing-Diba funktioniert auch nicht, weil man zur Bestätigung eine Tan braucht, die auf meine deutsche Handy-Nummer geschickt wird, also auf die Vodafone-Sim-Card, die in ganz Marokko kein Netz hat. Online-Käufe sind so sicher geworden, dass der Kunde selbst die Sicherheits-Hürden kaum nehmen kann.)

Ich sitze im Schatten der Rezeption, fröstelnd, es ist fast geschafft, ich gebe Hennings Kreditkartendaten ein, klicke auf zahlen, rechne damit, dass jetzt die Tan abgefragt wird, statt dessen: Weiterleitung zu „Verified by Visa“, Absturz der Seite. Henning ruft bei der Bank an. Die sagt, das Problem liege bei der Fluggesellschaft, alle Ing-Diba-Kreditkarten seien automatisch Verified by Visa. Ich fange von vorne an, die Flüge sind jetzt wieder 200 Euro teurer. Ich fluche. Zum Glück eine Mail von Airarabia – das günstigere Angebot ist für uns gespeichert, wir haben jetzt eine Stunde Zeit das Bezahlen hinzukriegen. Der DKB-Registrierungscode ist da. Ich versuche die Kreditkarte zu registrieren. Man braucht dafür eine App. Die kann ich nicht auf mein Handy laden, denn das kommuniziert mit dem Computer zu Hause, nicht mit Volkers Laptop.

Ich bin kurz davor den Technikmüll auf meinen Knien – Laptop, zwei I-Phones – zu Brei zu schlagen. Ich stapfe, Zorneswolken über meinem Kopf – zurück zum Düdo, drücke Volker den Technikmüll in die Arme, versuche ihn – schreiend – auf den grotesken Stand der Dinge zu bringen. Irgendwie gelingt es ihm, die Flüge zu buchen. Die App hat er geladen, aber letztendlich gar nicht gebraucht. Es bleibt ein Rätsel, warum plötzlich funktioniert, was vorher tagelang nicht ging.

Die Strecke nach Taroudannt eine lange Etappe, auf der die arme Toni nicht schläft. Ich schimpfe sie auch noch an deshalb, die eine Stunde Pause während der Fahrt ist mir so wichtig. Irgendein Muskel der sonst immer angespannt ist, kann nur loslassen, wenn beide Kinder schlafen. Toni weint, ich fühle mich schlecht, entscheide mich fürs Richtige: Verbindung mit dem Kind, hole sie zu mir auf den Schoß, beide Kinder fahren jetzt dauernd unangeschnallt vorne mit, hätten wir uns vor ein paar Monaten auch nicht träumen lassen. Die Landschaft wird wieder grün, agrarisch und besiedelt, ein ungewohnter Anblick nach den Wochen in der Wüste.

In Taroudannt ist es nochmal wärmer als überall wo wir bisher waren. Also in Zagora war es auch heiß, aber nur in der Sonne, die Luft selbst war frisch, was man daran merkte, dass man im Schatten sofort fröstelte. Hier plötzlich richtiger Sommer, warme Luft zum Reinkuscheln, die Nähe des Meeres. Auf dem Weg in die Stadt machen wir Halt an einem Spielplatz, wir scherzen: Der größte von ganz Nordafrika. Als wir draufstehen, merken wir: Es gibt zwar jede Menge Spielgeräte, aber es sind immer die selben: Mini-Rutschen, Schaukeln, und Wipp-Tiere. Gut für uns, Toni und Peppi sind, trotz wochenlanger Spielplatz-Abstinenz, bald mit allem fertig und wir können weiter. Alle sind hungrig.

Wir setzen uns vor einen Imbiss, bestellen Sandwichs mit Würstchen und Hackfleisch, dazu Pommes und Fanta, ein Festmahl, die Portionen sind aber so klein, dass es das Abendessen noch nicht gewesen sein kann. Wir folgen dem Menschenstrom und werden in einen überdachten Souk gespült, die Kinder im Bollerwagen fangen an zu randalieren, sobald wir stehen bleiben, es ist schade, dass wir uns kaum ausführlich umschauen können, geschweige denn Sachen kaufen. Ich kaufe ein halbes Kilo Möhren, der Kunde neben mir fordert mich auf: Nimm doch ein Kilo, es ist billig. Es ist wirklich nochmal billiger als überall bisher, aber Möhren werden im Düdo immer so schnell lommelig. Wir finden wieder aus dem Souk heraus, ich kaufe noch ein Kilo Avocados, jetzt brauchen wir schon wieder was zu essen.

Ich ziehe mit Peppi die Straße entlang, auf kleine Holzverschläge zu, aus denen Rauch aufsteigt. Schmalzkringel, hatten wir gehofft, es sind aber Hühnchenspieße. Ich bestelle vier Spießchen à 1,5 Dirham, es dauert bis sie durch sind, ich versuche mit Peppi auf dem Arm dem dichtesten Qualm auszuweichen. Der Verkäufer streift die Spießchen in eine Brothälfte, gibt Tomatensoße dazu, bitte kein Chili, die Kinder, und wir wandern zurück zum Bollerwagen. Ich stopfe den Kindern abwechselnd Hühnchenstücke in den Mund, während wir versuchen, aus dieser recht finsteren Gasse wieder in belebtere Gegenden zu finden. Es gelingt schneller als befürchtet, unversehens stehen wir auf einem großen Platz, und Toni muss pullern.

Die Heimfahrt im Pferdekutschen-Taxi, durch dunkle Gassen, der Kutscher fährt für uns extra den schönen Weg durch die Altstadt, nicht auf den Ring vor der Stadtmauer, das wäre der schnellere Weg. Ich fühle mich wie aus der Zeit gefallen. Es ist die erste Kutschfahrt meines Lebens, mir kommen Zeilen von Rilke in den Sinn: „Und sie fand ihn mit Kaltem ausgeschlagen; und das Schwarze und Kalte war auch in ihr.“

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