Torreguadiaro – Tarifa

Wir fahren ohne Frühstück los, immer ein Fehler. Die Grenze nach Gibraltar ist eine richtige Grenze, im Gegensatz zum verlotterten Häuschen zwischen Frankreich und Spanien. Brexit. Wir wundern uns noch, dass wir plötzlich gar keine Wohnmobile mehr sehen. Als wir drin sind, in Gibraltar, wissen wir warum. Nirgends ein Parkplatz. Und wenn, für Wohnmobile verboten. Es nieselt. Großbritannien halt. Unsere hungrigen Kinder quengeln. Bevor wir rausfahren aus der Enklave wenigstens noch billig tanken. An der Tankstelle quetscht sich eine dicke Alte aus dem Auto neben uns, dotzt dabei ihre Tür an den Düdo. Ich gucke aus dem Fenster, die dicke Alte wackelt mit dem Zeigefinger, die anderen Insassen auch. Was soll das heißen? Toni wartet immer noch auf ihr Eis. Volker bringt statt dessen rosa Kaubonbon-Kügelchen.

Erledigungen vor Marokko: Müsli-Großeinkauf im Dia. Zwölf Packungen, die Kassiererin zählt nur zehn. Ich verbuche das als Kompensation für irgendwelche Sonderangebots-Verheißungen in der Vergangenheit, die an der Kasse dann doch nicht eingegeben waren. Endlich Frühstück, dann weiter. Ein schrecklicher Tag für die Kinder mit dauernd im Auto sitzen.

Ich will beim Carrefour die blauen Turnschuhe zurückgeben, die ich mir am Nikolausabend in unsinniger Eile gekauft habe. Ich werde zum Kundendialog-Tresen geschickt. Da sind Leute vor mir in einer Schlange. Die Kunden die dran sind, lehnen am Tresen und führen offenbar hochkomplexe und ernste Dialoge mit den Carrefour-Mitarbeitern. Mir ist nicht klar, ob die Schlange überhaupt gilt, denn gleichzeitig gibt es so ein Nummernzieh-Ding. Ich ziehe zur Sicherheit eine Nummer. Sie ist wesentlich höher als die, die auf der Anzeigentafel steht. Außerdem steht Metzgerei auf dem Nummern-Zettel. Die Metzgerei ist gleich nebenan. Mir ist das alles zu kompliziert, ich behalte meine blauen Turnschuhe und mache einen kleinen Einkauf, in so riesigen Läden kann ich keinen Großeinkauf, überfordert mich.

Als ich zurück zum Düdo komme, bin ich so schlecht gelaunt, dass Volker sagt: Willst du nicht eine rauchen? Oder dir ein Bier kaufen? Ich habe das versprochene Eis vergessen, ausgerechnet, muss nochmal rein.

Ich schlappe mehrmals zum Reisebüro, in dem wir unsere Fährtickets kaufen wollen, Viajes Normandie, weiß Gott warum Normandie und nicht Maroc, sie vertreiben ausschließlich Fährtickets nach Marokko, nicht in die Normandie, jedenfalls ist diese Verkaufsstelle die Empfehlung von allen, mit denen wir gesprochen haben. Keine Ahnung ob es einen Grund dafür gibt, oder ob es einfach ein Traveller-Mem ist, das sich viral verbreitet. Wir werden ja auch sagen: Viaje Normandie, hinterm Carrefour-Parkplatz kurz vor Algeciras, bei Alexandro, da haben wir unsere Tickets gekauft, und es hat gut geklappt. Jedenfalls: Welche Route wollen wir eigentlich nehmen? Nimmt sich preislich alles nicht viel. Doch nach Tanger statt nach Ceuta? Doch von Tarifa aus los? Quatsch, wir müssen das Paket ja in Algeciras abholen. An der Pinnwand hängt ein Zettel, viersprachig, über Einreisebestimmungen für Hunde. Die brauchen einen Nachweis über Tollwut-Antikörper, zusätzlich zum Impfpass. Ich frage Alexandro, mehr nebenbei, gilt das auch für Katzen? Ja. Ja??? Ich schlappe zurück zum Düdo, beschließe mit Volker, die Route nach Tanger zu nehmen. Schlappe zurück zum Reisebüro. Alexandro fragt: Und wie machen Sie es mit der Katze? Ich sage, dass wir heute abend in die Tierklinik gehen werden und den Antikörpertest machen lassen. Alexandro sagt, dass es eine Woche dauert, bis die Bescheinigung da ist. Keine Zeit, das sacken zu lassen. Ich google auf dem Beifahrersitz „Katze einführen Marokko“. Es geht quasi nicht. Also es geht nicht. Wir können Katharina nicht legal einführen, also das Hauptproblem ist das Wiederausführen, nicht das Einführen. Man braucht vor der Einreise nach Marokko das Dokument. Ich lade den Originalgesetzestext herunter. Er gilt für Heimtiere „außer Frettchen“. Warum habe ich eigentlich nicht Jura studiert? Hätte mir bestimmt gelegen.

Wir erreichen die Tierklinik um viertel vor acht. Um acht macht hier alles zu. Die nette, dicke Sprechstundenhilfe telefoniert, sagt was zu mir, ich: „No entiendo“. Sie, freundlich auf spanisch, sinngemäß: „Ach so, einen Momentito bitte.“

Sie ist sehr geduldig, sagt, dass ihr Englisch schlechter als mein spanisch sei, das ist sicher wahr, und gilt für fast alle Spanier, was lernen die eigentlich in der Schule? Also ich radebreche, sie gibt sich alle erdenkliche Mühe zu verstehen. Sie sagt, dass das Zertifikat drei Wochen braucht. Die Blutprobe wird von hier nach Barcelona geschickt, von Barcelona nach Deutschland, dann zurück. Ich: „Nach Deutschland???“. Ja, da ist das nächste von der EU zugelassene Labor. 

Mein Hirn spuckt folgenden Plan aus: Sie sollen uns den Wisch scannen und per Mail zuschicken, damit wir ihn für die Wiedereinreise in die EU haben, nach Marokko müssen wir die Katze schmuggeln. Die Menschen-Scanner, denen bestimmt auch die Katze nicht entgehen würde, gibt es hoffentlich, der Richtung der Fluchtroute folgend, nur bei der Einreise von Marokko nach Spanien.

Katharina kratzt und faucht, haut meiner netten, dicken Sprechstundenhilfe die Kralle in den Busen. Beißt sie in den Finger, sie braucht ein Pflaster. Holt einen Maulkorb und Verstärkung. Zwei Frauen, um die Katze festzuhalten, eine Frau, um ihr Blut abzunehmen. Katharina ist zu wild. Sie holen eine Decke, wickeln die Katze ein. Sie strampelt sich frei. Ich kann kaum mit ansehen, wie Katharina leidet, frage: „Sedativo?“ Keine Ahnung, ob das irgendwas bedeutet. Aber sie verstehen. Sagen, dass eine Anestesia nicht so empfehlenswert sei, aber wenn es nicht anders gehe, müssten sie.

Es geht nicht anders. Sie gehen mit meinem armen Kätzchen weg, bringen es schlaff und fügsam wieder. Die Augen erstaunlicherweise aber offen. Sie finden keine Vene, zumindest keine, aus der genug Blut kommt. Die nette Sprechstundenhilfe erklärt mimisch und gestisch, dass sich die Venen zusammengezogen haben, vor Stress. Sie rasieren Katharina erst das eine Beinchen, stechen rein, ein Tröpfchen kommt, nicht mehr. Dann die selbe Prozedur am anderen Beinchen.

Ich muss daran denken, wie ich mit Peppi im Krankenhaus war, als klitzekleinem Würmchen von sieben Wochen. Wie sie den Zugang für den Tropf gelegt haben, erst am Köpfchen versucht, da haben sie die Vene nicht getroffen. Dann doch am Händchen. Mein Baby, völlig außer sich, mit dunkelrotem Köpfchen. Wie sie mir vorgeschlagen haben, rauszugehen, weil es schlimm aussehen würde, und es eh keinen Unterschied machen würde. Ich war überzeugt davon, dass Peppi sehr wohl merkte, ob ich da war oder nicht, und es sehr wohl vorzog, dass ich da war. Mein Gott.

Irgendwann ist die Ampulle voll genug. Ich bitte sie, gleich auch noch Anti-Parasiten-Mittel und Wurmkur zu verabreichen, dann wird Katharina zurück in den Transportkäfig gestopft. Sie wacht schon wieder auf. 165 Euro für die ganze Tortur.

Zurück am Düdo will Toni den Fisch essen, den ich im Carrefour gekauft habe. Das war auch so ausgemacht. Aber es ist jetzt zu spät, die Kinder fallen vor Müdigkeit um. Wir speisen sie mit irgendwas ab und los geht es, Richtung Tarifa. An der nächsten Kreuzung schlafen beide.

Das schöne Plätzchen auf der Brache neben dem Lidl-Parkplatz. Wir sehen Sterne, und die Leuchtbuchstaben TARIFA.

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