Wüste hinter Foum Zguid – Zagora

Am nächsten Vormittag bevölkert sich der Brunnen. Frauen mit Eseln. Der Mann von gestern sei auch wieder da, berichtet Volker als er vom Ausflug mit den Kindern zurückkommt, außerdem ein alter Mann in blauem Gewand, der auf dem Boden liege und sage, dass er Bauchschmerzen habe. Nierensteine, sagt Volker, habe der alte Mann ihm erklärt, indem er Steine vom Boden aufhob und auf seinen Bauch zeigte.  

Ein junger Mann mit Turban nähert sich dem Düdo. Ich steige aus und begrüße ihn, aber er sucht augenscheinlich den Mann des Hauses. Er fragt pantomimisch nach einer Zigarette. Ich gebe ihm eine. Französisch kann er offensichtlich nicht. Es ist erstaunlich, wie viele Informationen man ohne Sprache übermitteln kann. Er hat noch keine Kinder, aber seine Frau ist schwanger. Er zeigt, dass seine Socke an der Ferse ein großes Loch hat. Er hätte gern noch etwas. Ich bespreche mich kurz mit Volker, wir haben in der Tauschkiste eigentlich nur Kinderkleidung. Ich gebe ihm einen rosa-weiß gestreiften Body von Peppi. Er guckt erst, als wüsste er nicht, was er damit anfangen soll, ich streiche mit der Hand über einen imaginären Schwangerenbauch, dann versteht er: Fürs Baby. Er sieht kurz so aus, als ob er sich freut, bedankt sich aber nicht, sondern steckt den Body mit einer Hand in seine Jackentasche und geht wieder.

Dann kommt der alte Mann mit den Bauchschmerzen. Wir geben ihm einen Streifen Paracetamol. Er spricht ein bisschen französisch. Der Mann fragt, ob er eine am Tag davon nehmen solle. Volker probiert zu erklären, dass es ein Schmerzmittel sei und natürlich nicht gegen die Nierensteine an sich helfe. Er solle immer dann eine nehmen, wenn die Schmerzen stark seien. Eine am Tag, fragt der Mann. Eine halbe, sagt Volker, denn es sind die 1000mg-Hammerdinger aus Spanien. Wir kommen uns ein bisschen vor wie Hochstapler. Herr und Frau Doktor.

Dann kommt der junge Mann wieder. Er möchte offenbar nichts Bestimmtes, sondern einfach ein bisschen gucken. Volker zeigt ihm, was alles so herumsteht: Die Kühlbox zum Beispiel. Volker erklärt pantomimisch, dass beim Fahren Strom produziert wird, und die Kühlbox dann kühlt. Wir bitten ihn in den Düdo, er schaut sich alles an, interessiert sich für die Ukulele. Ich spiele ein paar Takte. Er fragt, ob wir Brot hätten. Wir haben aber keins mehr, alles aufgegessen. Wir haben noch Suppe von gestern, bieten ihm davon an. Er isst eine kleine Portion.

Eine Frau taucht auf. Sie möchte keine Suppe. Winkt mir, dass ich mitkommen soll. Ich nehme Peppi auf den Arm und folge ihr, ahnungslos, was sie mir zeigen wollen könnte. Als wir ein paar Meter gegangen sind, bleibt sie stehen, dreht die Handfläche gen Himmel und reibt Daumen, Mittel- und Zeigefinger aneinander. Ich schüttele den Kopf. Wir gehen weiter, durchqueren das trockene Flussbett. Am Brunnen sitzt eine weitere Frau und wäscht Wäsche in einem flachen Blechbottich. Ich winke, sie lächelt. Ich vermute jetzt, dass die andere Frau Peppi die Esel zeigen wollte. Aber Peppi hat wie immer Angst vor den Eseln. Sie will zurück in den Düdo. Ich will auch zurück auf sicheres Terrain, habe keinen Mut, die Unklarheit der Situation weiter auszuhalten.

Der junge Mann ist immer noch da. Wir stellen uns einander endlich auch vor. Er heißt Aziz. Er schreibt den Namen auf Arabisch auf, zeigt uns dann seinen Pass, auf dem er in lateinischer Schrift steht. Er ist 1990 geboren. So jung hätte ich ihn nicht geschätzt.

Die Kinder sind hungrig, wir müssen langsam essen. Toni sagt, dass sie nicht mit dem Mann essen will. Volker sagt, dass der Mann unser Gast sei. Ich hole den Brotsalat, den ich morgens vorbereitet habe und decke für alle. Aber Aziz möchte gar nicht mitessen. Ich esse mit den Kindern, während Volker Aziz alles mögliche zeigt, was wir hinten im Düdo haben. Volker kommt vor um einen Becher zu holen, er möchte Aziz einen Kakao machen. Die Kinder wollen jetzt natürlich auch Kakao.

Die zwei Frauen kommen jetzt auch an den Düdo. Volker meint verstanden zu haben, dass beide Aziz’ Frauen seien. Ich verstehe es so, dass nur die, die am Brunnen saß, seine Frau ist, die Schwangere. Sie sieht sehr jung aus. Aziz zeigt zwei mit den Fingern. Entweder er hat zwei Frauen oder seine Frau hat Zwillinge im Bauch, wir wissen es nicht. Wir bieten ihnen einen Teller Brotsalat an, leider haben wir nur noch einen sauberen Teller. Sie setzen sich nebeneinander auf die Rückbank und fangen an zu essen. Offenbar schmeckt es ihnen gut, sie nehmen sich nach und drängen Aziz, auch davon zu probieren. Volker serviert Kakao. Alle trinken jetzt richtig viel Kakao. Die Stimmung ist irgendwie fein.

Es wird aber immer chaotischer, wegen unserer müden Kinder. Wir müssen zusammenpacken und los. Volker raucht noch eine Zigarette mit Aziz, gibt ihm noch eine mit, er verschwindet ohne große Verabschiedung, wie kurz zuvor schon die Frauen. Als wir losrollen, überholen wir das Dreiergrüppchen, das sich mit seinen Eseln – beladen mit frischwassergefüllten orangenen Plastikflaschen – auch auf den Weg gemacht hat. Was für ein reicher Vormittag.

Kurz vor Zagora kommt uns ein Jeep entgegen, macht energisch Lichthupe, bremst, wir bremsen auch, der Jeep setzt zurück bis er neben uns zu stehen kommt. Es sind schon die ersten Schlepper, die uns in ihre Werkstatt locken wollen. Dass es schon 15 Kilometer vor Zagora losgeht, hatten wir nicht erwartet. In Zagora selbst sind es die angekündigten Jungs auf Mofas, die uns durchs geöffnete Fenster zuschreien, dass wir ihnen in ihre Werkstatt folgen sollen. Es ist immer irgendwie schön, wenn etwas genauso eintrifft wie es im Reiseführer geweissagt wird. Als würde die Realität der Literatur gehorchen. Sie düsen neben uns her, an jeder Kreuzung brüllen sie uns ins offene Fenster. Volker sagt ihnen, dass wir erst mal auf den Campingplatz fahren, sagt leider auf welchen, denn jetzt fahren sie uns voraus, um uns dort dann aufzulauern.

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