Zagora, Camping Oasis Palmier

Wir ziehen zu viert mit dem Bollerwagen Richtung Innenstadt, es sind nach Aussage der Campingplatzleute eineinhalb Kilometer, andere Reisende sprechen von drei Kilometern, aber wir können kein Taxi nehmen, weil wir nicht wissen, wo wir hinwollen. Wir haben nur die Skizze von Basti, die uns beschreibt, wo sich in etwa die Werkstatt befindet, die er empfiehlt. Erst geht es an der großen Straße entlang, über den Fluss, dann durch die Oase, dann wird es belebter, Kinder und Frauen umringen den Bollerwagen mit unserer weinenden Tochter, Toni hat sich irgendwie wehgetan.

Bastis Skizze ist erstaunlich gut, wir finden prompt den eingezeichneten Brunnen, sind also in der richtigen Straße, und da sind auch die zwei Werkstätten, die zweite soll die gute sein.

100 Dirham fürs abschmieren, Filterwechsel müsse man erst gucken, sagt Mohammed, ich sage, dass uns abschmieren seit gestern dauernd für Preise zwischen 20 und 50 Dirham angeboten wurde, Mohammed sagt, okay, dann abschmieren für 50 Dirham. Unser erster Eindruck ist okay, es ist eine richtige Werkstatt, sie behandeln sogar ein Fahrzeug der Gendarmerie Royale. Wenn der marokkanische Staat hier Kunde ist, warum nicht auch wir.

Der Plan ist, dass Peppi auf dem Weg zur Werkstatt einschläft, und ich es mir dann mit Toni vorlesenderweise gemütlich mache, während am Düdo geschraubt wird. Peppi schläft nicht ein. Ich richte mich mit den Kindern auf dem Bett ein, Volker zeigt den Werkstattjungs die Filter, es sind jede Menge Leute rund um den Düdo zu Gange. Sie nehmen die Motorhaube ab, die sich beim Düdo ja zwischen Fahrer- und Beifahrersitz befindet, ich stille Peppi hinterm Vorhang. Volker guckt immer wieder kurz rein und reicht uns kleine Figuren nach hinten, die Kinder aus Palmblättern geflochten und ihm geschenkt haben. Er sagt, dass es nicht den Eindruck mache, als ob die Werkstattjungs schon mal einen Filterwechsel bei einem Düdo gemacht hätten. Zu spät.

Ich versuche Toni davon abzuhalten, immer wieder vor zu klettern, um zu gucken was die Männer machen. Obwohl es natürlich interessant ist, würde selbst gern zuschauen. Aber es ist so schon voll genug mit Volker und den verschiedenen Jungs. Offenbar arbeiten viele Leute mit großer Motivation an unseren Filtern, es ist ein ständiges Kommen und Gehen und Rufen und Diskutieren und Schrauben.

Ich verfüttere den Kindern und mir unsere Lebensmittelreste: Paar Bananen, paar Mandarinen, viele Möhren, die letzten Reiswaffeln. Wir haben nicht mal mehr Brot. Wir bauen Lego, lesen vor, spielen Memory, aber irgendwann geht es nicht mehr. Ich stecke Peppi in die Manduka, nehme Toni an die Hand, wir wollen Brot kaufen und gucken, ob wir das Hammam finden. Peppi soll endlich schlafen. Der Ausflug wird für Toni nicht so schön, nur laufen ohne einen für sie interessanten Kauf. Wenigstens finden wir auf der großen Straße einen Kiosk, wo sie eine synthetisch schmeckende Limo kriegt.

Zurück am Düdo wacht Peppi sofort auf. Die Filter sind fertig, erfolgreich gewechselt, aber jetzt warten wir noch auf den Chef. Die Kinder drehen langsam durch. Wir toben, ich hebe sie mit den Fußflächen hoch und drücke sie an die Düdodecke. Sie juchzen, aber jedes Mal wenn ich Peppi nach ein paar Sekunden wieder runterlasse, weint sie erbärmlich. Ich sage dann: „Abwechselnd. Jetzt ist die Toni dran und danach wieder du.“ Peppi sagt dann schluchzend, aber tapfer um Fassung ringend: „Abwechselnd.“

Der Chef soll sich noch die kaputte Kühlwasser-Heizung angucken, wenn schon, denn schon. Fehlersuche, sagt er, koste nichts. Wenn er den Fehler finde, werde er sagen, was die Reparatur koste. Entweder er kann sie einfach reparieren oder wir wollen sie ausbauen lassen. Volker holt mich dazu, erklärend: „Ma femme parle plus bien français que moi“. Der Chef korrigiert ihn: „Mieux!“

Ich soll dem Chef erklären, dass der TK irgendwas abgeklemmt hat, weil die Heizung leckte. Da kam Diesel raus. Und dann hat der TK sie stillgelegt, aber weder Volker noch ich wissen, was genau er gemacht hat. Denn das war in Deutschland, und da sind die Kfz-Mechaniker eine arrogante Kaste, und lassen sich nicht dazu herab, uns Anfängern zu erklären, was genau sie tun.

Der Chef schaut sich erst die Heizung selbst an, dann die Schläuche, dann die elektronischen Verbindungen. Die Kinder drehen jetzt völlig durch. Wir machen eine Kissenschlacht. Plötzlich Jubel vorne. Der Chef hat den Fehler gefunden und im quasi selben Moment auch schon behoben. Der Schieberegler vorne am Armaturenbrett war kaputt, das ist alles. Volker lässt den Motor an, sofort bläst warme Luft aus beiden Heizungen, die wir schon auf den Müll schmeißen wollten! Der Chef freut sich, zeigt auf alle Stellen, die er untersucht hat: „Le problem n’était pas là, pas là, pas là, mais là!“

Weil Fehlersuche und Reparatur quasi eins war, will der Chef keinen Preis nennen, sondern sagt, wir sollen ihm soviel geben wie wir wollen. Volker gibt ihm 200 Dirham, damit ist er offenbar sehr zufrieden, er nennt Volker ab jetzt „mon ami“. Wir sind auch sehr zufrieden. Die Heizung, vom blöden TK bereits totgesagt, funktioniert!

Begeistert über den Erfolg mit Filtern und Heizung gehen wir am nächsten Tag die Roststellen an. Ich instruiere Volker, der die Verhandlungen führen wird, wie man Verhandlungen führt. Also es gibt ja bestimmt sehr viele Herangehensweisen. Meine ist: Erstaunt über den hohen Preis sein, sagen, dass man weniger erwartet hätte, aber NICHT grundsätzlich anzweifeln, dass der Preis gerechtfertigt sei. Sondern eher so: Ui, ich verstehe, dass es so teuer ist, die Qualität ist bestimmt sehr gut, aber das ist viel Geld für uns, ich hatte mit der Hälfte gerechnet. Volker sagt, dass er Bauchschmerzen hat deshalb.

Der Chef bringt uns für die Rostbehandlung zu seinem Cousin, dessen Werkstatt ein ganzes Stück weiter weg liegt. Wir dachten, dass Rostbehandlung simpler wäre als Filter und Heizung, und sind darum wirklich erstaunt über den verhältnismäßig hohen Preis den alles kosten soll. Volkers Verhandlung endet damit, dass wir noch 300 Dirham mehr zahlen, dafür aber auch noch die Regenrinne entrostet wird. Kurios, aber egal, wir wollen die Baustelle „Rost“ jetzt einfach weg haben.

Wir haben nicht vor, wieder den ganzen Tag mit den Kindern im Düdo zu verbringen, zumal die Lackierarbeiten noch schlimmer stinken werden als das, was schon gestern an Werkstattdämpfen in die Lungen unserer kleinen Kinderchen geatmet wurde. Ich werde mit den beiden im Taxi zurück auf den Campingplatz fahren. Ich schmeiße ein bisschen Obst und Gemüse in den Rucksack, Brot haben wir immer noch nicht, gibt es aber auf dem Campingplatz, packe den Wasserkanister und die Kinder, verfrachte alles in ein Taxi, auf zum Campingplatz.

Es ist komisch, auf unserem Platz herumzulungern, mit Plastikteppich, aber ohne Düdo. Der Nachmittag vergeht recht einfach, die netten Schweizer (natürlich alt wie alle) lassen Toni und Peppi bei sich auf dem Bett spielen, plaudern währenddessen mit mir. Als das vorbei ist, bade ich Peppi in der Waschschüssel, Toni macht anschließend eine große Matschsuppe aus dem Badewasser. Peppi hat bisher noch keinen Mittagsschlaf gemacht, wird wohl auch keinen mehr machen, ich habe die Manduka vergessen, und die Strandmuschel haben wir anders als geplant auch nicht hiergelassen.

Immer wieder tragen Leute braune Papiertüten auf uns zu. Jedes Mal habe ich die kleine, irrationale Hoffnung, dass in den Tüten Gebäck sein könnte, das die Leute uns schenken wollen, weil sie sehen, dass ich ganz allein mit zwei putzigen Kindern mein Dasein friste, noch dazu ohne die Sicherheit unseres mobilen Zuhauses. Jedes Mal enttäuscht sich die kleine irrationale Hoffnung. An der Palme vor unserem Platz hängt ein blauer, großer Müllsack. In den Papiertüten tragen die Leute ihren Müll dorthin.

Zwei riesige Expeditionsmobile rollen auf den Platz, also höher gelegte LKWs mit Wohnkoffern auf dem Rücken. Dahinter zwei Land Rover. Der Konvoi bildet eine Wagenburg neben uns. Ich fühle mich ganz schutzlos so ohne Düdo, nur mit einem Teppich. Es wird langsam auch kühl. Ein Grüppchen kommt auf uns zu, sie haben ein Kind dabei, etwa Peppis Alter. Beide Kinder erschrecken sich davor, plötzlich ein anderes zu sehen. Peppi will auf den Arm. Ich höre deutsche Wortfetzen, dann aber auch englisch, weiß nicht, auf welcher Sprache ich Kontakt aufnehmen soll. Entscheide mich schließlich, auf deutsch das Wort an die blonde Frau zu richten, offenbar die Mutter des Kindes: „Wo kommt ihr her?“ Patti mit Kind Amaya und Mann kommen aus Deutschland, die andere Familie aber aus Mexiko, wir stellen uns einander vor. Sie waren gerade zwei Wochen in der Wüste und sind ganz geflasht davon, plötzlich wieder andere Menschen zu sehen.

Toni will die Expeditionsmobile von innen sehen, ich einerseits auch, aber andererseits will ich dann auch wieder raus, Toni und Peppi aber nicht, denn es gibt Kinderbücher und Spielzeug auf dem Bett der Familie. Patti und Amaya sind draußen. Ich hänge also mit meinen Kindern allein im Zuhause einer Familie herum, die ich überhaupt nicht kenne. Es ist schon zu dunkel zum Vorlesen. Toni will Licht anmachen, aber wir sehen keinen Lichtschalter, nur eine Leiste mit allerhand Knöpfen, ich will auf keinen Fall, dass Toni die durchprobiert, wer weiß was da alles dabei ist.

Setze mich zu den Leuten, die Tische aufgestellt haben und Stühle im Kreis, lese Toni hier draußen endlich das Buch vor, das sie vorgelesen haben will, irgendwas mit Weihnachten und Wimmel und Wichteln. Der Mann des Hauses, in dem wir eben waren, taucht auf, ein lockiger Bär, ich bin sofort eingeschüchtert. Er sagt irgendwas, von dem ich nicht weiß, ob es ironisch gemeint ist. Ich lechze danach, endlich das Brummen des Düdo-Motors zu hören, und aus der Situation erlöst zu werden. Es ist weit nach sechs, Volker müsste längst da sein. Der lockige Bär macht sich ein Bier auf, mir bietet er leider keins an.

Es ist stockdunkel, als der Düdo auf den Campingplatz rumpelt. Volker hält direkt auf uns zu, denn normalerweise sind wir immer hier einen Bogen gefahren, um leichter von vorne auf unseren Platz zu kommen. Zu spät merkt er, dass jetzt hier alles mit Wüstenfahrzeugen zugeparkt ist. Ich laufe hin, winke ihn wieder aus der Sackgasse, Rückwärtsgang. Im Dunkeln kann er meine hilfreich gemeinten Gesten – mehr nach links, mehr nach rechts – nicht erkennen, er fährt irgendwie. Peppi ist – das Köpfchen an meine Schulter gelehnt – eingeschlafen, sicher vom Düdo-Brummen. Sie hatte ja keinen Mittagsschlaf.

Es hat ewig gedauert, bis die weiße Farbe für die Stoßstange geliefert wurde, deshalb kommt Volker so spät. Der rein ästhetische Zusatzauftrag, in den wir uns irgendwie haben reinquatschen lassen, hat also für die Verzögerung gesorgt. Immerhin hat Volker währenddessen eine neue Gasflasche gekauft – das vom Heinz aufgefüllte Gas in unserer deutschen Flasche ist vorgestern alle gegangen – und dabei die Bekanntschaft eines netten Mannes gemacht, der ihn mit in seinen Gewürzladen genommen hat. Es hatte nichts von Schlepperei, sagt Volker, der Mann habe ihm geholfen, die Gasflasche zum Düdo zu tragen. Und ihm dann einfach seinen Laden zeigen wollen. Er wollte auch nichts verkaufen, sondern hat Volker lauter Sachen geschenkt, Gewürze, Tee.

Unser Bild der hiesigen Bevölkerung hat sich total ins Gegenteil verdreht. Anfangs dachten wir, aufgrund unserer Erfahrung in Asilah, dass wir für jede Freundlichkeit teuer bezahlen müssten und alle nur Geld an uns verdienen wollen. Mittlerweile begegnen uns nur noch total korrekte Marokkaner, und ständig werden wir mit Freundlichkeit und kleinen Gaben beschenkt, ohne jeden Hintersinn. Wir wollen jetzt ja sogar noch länger bleiben. In einem Monat läuft unser Visum ab, regulär darf man drei Monate im Land im bleiben. Aber wir haben entschieden, die Verlängerung zu beantragen, um die Umbauten im Düdo noch hier machen lassen zu können.

Vor der Stadt braut sich ein Sandsturm zusammen. Routinierter Großeinkauf  in der Markthalle. Alles ist 1 bis 2 Dirham teurer als anderswo. Als ich alles habe, bleibe ich kurz stehen, um mich zu sammeln und zu überlegen: Habe ich wirklich alles? Mir fällt ein, dass ich Gurken vergessen habe. In dem Moment erwischt mich der junge Schlepper von neulich, ich habe einen Teppich gekauft in dem Laden, in den er mich auf seinem Mofa gebracht hatte. Er will mir gleich behilflich sein, wahrscheinlich eine Deformation Professionelle: „Was willst Du?“ „Gurken.“ „Hier gibt es Gurken!“ Ich will keine Hilfe beim Gurkenkaufen, bin geistesgegenwärtig genug, eigenständig zum Nachbarstand zu stapfen, wo die Gurken knackiger sind.

Gleich nebenan, wie von Basti skizziert, die Arkaden mit dem Bäcker – kaufe viel Brot und nochmal das honigtriefende Sesamgebäck, auch das ein Viertel teurer als in Tata – und schräg gegenüber das Hammam. Die Eintrittskarten kauft man vorab in einem Häuschen vor dem Eingang, sehr angenehm, kein Gerätsel über den Preis, 10 Dirham für mich, 10 Dirham für Toni, Peppi frei. Wir sind mittlerweile versierte Hammamgängerinnen und strahlen offenbar nicht mehr die welpenhafte Hilflosigkeit aus, die sonst immer eine besorgte Betreuung auf den Plan gerufen hat.

Es ist das schönste Hammam, in dem wir bisher waren, denn es ist groß wie eine kleine Kathedrale, drei Räume die ineinander übergehen, und durch Fenster weit oben fällt Tageslicht. Und es ist, obwohl Vormittag, gerammelt voll, weshalb niemand groß Notiz von uns nimmt. Viele Mütter mit ihren Kindern. Die Szenerie hat etwas Entrücktes. Die wenigen Insignien der Gegenwart – Plastikschemel, Schlappen, bunte Schlüppis – gehen unter inmitten der monumentalen Nacktheit, dem Dampf, den gesprungenen Kacheln, den schwarzen Eimern aus schwerem Gummi, dem Getose des Wassers, das aus den Hähnen in der Wand schießt – wir haben ein Gemälde betreten, das aus weißgottwelchem Jahrhundert stammen könnte.

Wir sind erst im heißesten der drei Räume, weil hier am meisten Platz ist. Toni ist es hier aber zu heiß und sie erkundet alleine die anderen Räume. Peppi fühlt sich wohl, überkippt sich immer wieder mit lauwarmem Wasser. Von Zeit zu Zeit gehe ich nach Toni schauen, die anderen Frauen zeigen mir immer wo sie ist – möglicherweise irritiert davon, dass ich sie sorglos aus meinem Blickfeld verschwinden lasse. Irgendwann bedeuten mir ein paar Frauen, dass ich mich neben sie setzen soll, im nächstkühleren Raum, offenbar haben sie verstanden, warum Toni nicht bei mir bleibt. Ich nehme den angebotenen Platz dankbar an. Toni wird von einem Mädchen an der Hand herumgeführt, das Kind will sie in den heißen Raum ziehen, Toni sträubt sich erfolgreich. Später wird sie sagen, dass es ihr in diesem Hammam nicht gefiel, weil das Kind sie immer in den heißen Raum ziehen wollte. Toni: „Zum Glück war ich stärker.“

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